Vor knapp einem Jahr war er Deutschlands tragischer Held bei den Olympischen Spielen in Paris - nun hat Florian Wellbrock ein riesengroßes Zeichen gesetzt und viermal Gold im Freiwasser bei der Schwimm-WM geholt. Nie zuvor war das einem anderen Schwimmer gelungen.
Vom Olympia-Fiasko zum Gold-Rausch: Wie hat er das gemacht?
Wie hat er das gemacht?
Wie hat der gebürtige Bremer es geschafft, in Singapur zum Phönix aus der Asche zu werden. Wie überwand er die tiefe Enttäuschung von Paris, wo er komplett neben sich stand und völlig unerwartet keine Medaille holte? Im SPORT1-Interview verrät der 27-Jährige es.
SPORT1: Herr Wellbrock, Sie haben unglaubliche vier Goldmedaillen geholt. Wie erklären Sie sich den Erfolg?
Florian Wellbrock: Ich glaube, wir haben diese Saison einiges richtig gemacht. Ich habe jetzt eine neue Mentaltrainerin, mit der ich sehr intensiv gearbeitet habe, die mit Sicherheit auch ein Zahnrad in diesem ganzen Konstrukt war. Insgesamt hatte ich einfach ein bisschen mehr Ruhe. Wir haben es etwas entspannter angehen lassen diese Saison und ich glaube, das hat mir insgesamt gut getan.
SPORT1: Worauf liegt der Fokus mit Ihrer Mentaltrainerin?
Wellbrock: Da ich auf diesem Gebiet eigentlich vorher sehr unprofessionell unterwegs war, prasselt da momentan relativ viel auf mich ein. Wir sind auch immer noch relativ am Anfang mit der ganzen Arbeit. Wir versuchen jetzt erstmal so eine Art Werkzeugkasten für mich zusammenzustellen, wo ich dann auf verschiedene Tools zugreifen kann, die mir in bestimmten Situationen einfach gut tun.
Wellbrock: „Ich weiß wieder, wofür ich schwimme“
SPORT1: Welche Lehren haben Sie nach den Olympischen Spielen gezogen? Die Spiele sind sicherlich anders verlaufen, als Sie sich das vorgestellt haben.
Wellbrock: Ich glaube, das größte Learning ist, wieder zu wissen, wofür ich schwimme und warum ich das Ganze mache. In Paris stand ich einfach ein bisschen zu verkrampft auf dem Startblock und jetzt schwimme ich mit mehr Gelassenheit und Lockerheit durch das Wasser. Das tut mir insgesamt sehr gut.
SPORT1: Wofür machen Sie das Ganze denn?
Wellbrock: Für die eigene Erwartung und für den eigenen Spaß. Nicht um irgendwelche Medienerwartungen oder Medaillenspiegel zu erfüllen. Das ist, glaube ich, ein ganz wichtiger Punkt, dass man für die eigenen Emotionen und Erwartungen an den Start geht.
„Zu dem Zeitpunkt ist alles perfekt gelaufen“
SPORT1: War es bisher für Sie die perfekte WM?
Wellbrock: Im Großen und Ganzen ja. Wenn man bei vier Starts mit vier Titeln rausgeht, war es schon irgendwo eine perfekte WM. Natürlich kann man hin und wieder noch eine Stellschraube drehen, damit es noch besser geht. Aber jetzt zu dem Zeitpunkt ist alles perfekt gelaufen.
SPORT1: Was muss passieren, damit es jetzt perfekt weitergeht?
Wellbrock: Der Finaleinzug. Wenn ich jetzt den Schritt mache, an dem ich die letzten zwei Jahre gescheitert bin, dann wäre ich auf jeden Fall schon megahappy.
SPORT1: Was sind für Sie hier die größten Herausforderungen im Gegensatz zum Freiwasser-Becken?
Wellbrock: Die größte Herausforderung ist eigentlich, diese ganzen Umweltfaktoren, die wir im Freiwasser haben, so ein bisschen abzuschütteln. Also das warme Wasser, die Wellen, die Strömungen, die wir hatten. Jetzt muss ich mich wieder auf diese Labor-Bedingungen im Pool einstellen, wo es immer gleich ist. Jetzt wieder den richtigen Rhythmus zu finden, das ist momentan die größte Herausforderung.
„Sie sind wie eine Ersatzfamilie für mich“
SPORT1: Ihr Trainer Bernd Berkhahn spielt sicherlich eine große Rolle. Wer ist sonst wichtig für Sie während der Wettkämpfe?
Wellbrock: Bernd ist immer an meiner Seite und immer dabei. Er fängt unheimlich viel auf, auch abseits vom Beckenrand, er ist immer die Bezugsperson Nummer eins. Ansonsten hier vor Ort natürlich das Team, gerade die Magdeburger. Ich verbringe so viel Zeit mit ihnen im ganzen Jahr. Sie sind schon wie eine Ersatzfamilie für mich und deswegen könnte ich ohne sie nicht hier sein.
SPORT1: Wäre es für Sie auch eine Option, ins Ausland zu gehen, um dort neue Impulse zu sammeln und zu trainieren?
Wellbrock: Also für mich würde es allerhöchstens in Frage kommen, mal so einen Monat oder vielleicht zwei Monate woanders reinzuschnuppern und sich ein bisschen neues Wissen anzueignen und zu gucken, wie es die anderen so machen. Aber dauerhaft den Stützpunkt zu wechseln, würde für mich nicht in Frage kommen. Dafür fühle ich mich zu Hause in Magdeburg einfach zu wohl.
„Wir Deutschen waren im Freiwasser immer sehr erfolgreich“
SPORT1: Was muss passieren, damit Deutschland auch im Becken wieder so erfolgreich sein kann wie im Freiwasser?
Wellbrock: Das ist eine extrem gute Frage. Wir Deutschen waren im Freiwasser schon immer sehr erfolgreich. Ich glaube, wir sind vielleicht einfach sehr gut darin, viele Kilometer zu machen, wirklich viel Zeit zu investieren, was für die Ausdauersportarten natürlich unumgänglich ist. Und das zahlt sich dann auch aus.
SPORT1: Europameister, Weltmeister und Olympiasieger sind Sie bereits. Gibt es noch weitere Ziele - vielleicht auch Abseits des Schwimmens?
Wellbrock: Tatsächlich keine weiteren Medaillen oder irgendwelche Titel oder Zeiten. Für mich ist es wirklich immer dieser Moment, mit den Besten der Welt zusammenkommen zu dürfen, der ein unheimlich großes Privileg ist. Und das jedes Jahr aufs Neue irgendwo genießen zu können, ist eine unheimlich große Ehre. Und das erfüllt mich.