Eva Lys ist eine große Hoffnungsträgerin des deutschen Damentennis. Nach dem Karriereende von Angelique Kerber und Andrea Petkovic ist die 23-Jährige zur deutschen Nummer eins aufgestiegen – trotz ihrer unheilbaren rheumatischen Autoimmunerkrankung. Bei den Australian Open 2025 zeigte die gebürtige Ukrainerin mit dem Einzug ins Achtelfinale, wozu sie fähig ist - und machte Hoffnung auf mehr.
Mehr als nur Deutschlands Nummer 1
Der Weg nach oben ist aber bekanntlich steinig, so unterlag Lys noch etwas von einer Erkältung geschwächt beim aktuell stattfindenden Porsche Tennis Grand Prix der Weltranglistensechsten Jasmine Paolini deutlich.
Im Rahmen des Turniers in Stuttgart sprach die Nummer 68 der Welt mit SPORT1 über ihre gesundheitlichen Herausforderungen, die neue Rolle als deutsche Nummer eins und ihre Sicht auf die Gleichberechtigungsdebatte im Tennissport.
SPORT1: Frau Lys, starten wir mit einem Rückblick auf den Billie Jean King Cup: Es war klar, dass es keine leichte Gruppe ist, dennoch war das sicher nicht das Abschneiden, was das Team sich erhofft hatte. Wie schwer war es, aufgrund Ihrer Erkältung draußen zuzuschauen und als deutsche Nummer eins nicht eingreifen zu können?
Eva Lys: Ich fand es sehr schade. Ich habe natürlich von außen alles getan, was ich konnte. Bei mir ist die Gesundheit leider immer ein schwieriges Thema und ich weiß, dass viele Mädels, wenn die erkältet oder krank sind, trotzdem die Zähne zusammenbeißen und weiterspielen können. Ich weiß aber, dass es bei mir zu gefährlich ist. Wenn ich mit so einem Zustand auf den Platz gehe, bin ich vielleicht die nächsten Wochen raus und ich wusste, dass ich den Porsche Grand Prix vor mir habe, was für mich natürlich ein sehr besonderes Turnier ist. Deshalb habe ich mit offenen Karten gespielt und direkt gesagt, wie ich mich fühle. Danach haben mir alle abgeraten, überhaupt zu spielen. Deswegen war ich leider ein paar Tage im Hotelzimmer abgeschottet, weil ich auch die anderen Mädels nicht krank machen wollte. Sobald das Antibiotikum gewirkt hat, war ich dann wieder langsam dabei. Aber das war natürlich total schade und hat mir schon ein bisschen das Herz gebrochen. Das gehört leider zum Tennis dazu – genauso wie die Matches. Manche Matches waren super, super eng. Wir haken es ab und versuchen es am Ende des Jahres besser zu machen.
„Ich war noch nie so fit wie jetzt“
SPORT1: Sie erwähnten, dass ihre Gesundheit ein schwieriges Thema ist. Sie haben Ihre unheilbare rheumatische Autoimmunerkrankung öffentlich gemacht – wie sehr macht sich das im Alltag oder auch im Tennis-Training bemerkbar?
Lys: Ich habe tatsächlich seit vergangenem Jahr nicht allzu viele Probleme mit meinem Rheuma, was sehr gut ist. Ich mache trotzdem tagtäglich etwas dafür. Ich muss mit meinem Körper ein bisschen anders umgehen als andere. Und deswegen muss ich vor allem bei solchen Geschichten sehr vorsichtig sein. Durch mein Immunsystem bin ich generell sehr leicht schnell angeschlagen. Ich nehme wirklich jeden Virus mit, den meine kleine Schwester aus der Schule nach Hause genommen hat. Deswegen versuche ich, vor allem wenn ich krank bin, immer mit Maske zu fliegen. Aber ja, Regeneration ist ein ganz wichtiges Wort. Wenn ich merke, der Körper ist zu müde oder ich merke etwas in meinen Gelenken, muss ich einfach direkt Stopp machen. Diese Geduld musste ich in den letzten Jahren auf jeden Fall lernen. Aber ich merke dadurch, wie das Jahr angefangen hat und es mit meinem Ranking weitergeht, dass diese Geduld sich auszahlt. Und meine Gesundheit ist stabil. Ich war noch nie so fit wie jetzt. Das versuche ich genauso weiterzumachen.
SPORT1: Wie ist denn allgemein das Gefühl, die aktuell beste Spielerin Deutschlands zu sein? Der DTB hat schließlich schon einige erfolgreiche Spielerinnen hervorgebracht.
Lys: Ich brauche wahrscheinlich noch ein paar Wochen, um mich daran zu gewöhnen. Trotzdem ist das Ziel natürlich, so lange wie möglich die deutsche Nummer eins zu bleiben. Das ist ein Ziel, worauf ich mein ganzes Leben lang hinarbeite. Ich hatte einfach Glück, dass die Kerber (Angelique Kerber; Anm. d. Red.) und die Petko (Andrea Petkovic; Anm. d. Red.) rechtzeitig aufgehört haben. Ich werde auch mein Bestes geben, um mein Ranking weiter zu verbessern. Aber das Gefühl ist natürlich unglaublich.
„Ich bin happy, die neue Generation ein bisschen anzuführen“
SPORT1: Sie würden es sicher begrüßen, wenn Sie nicht die einzige deutsche Spielerin in den Top 70 wären, oder?
Lys: Auf jeden Fall. Das, was mich immer sehr, sehr angetrieben hat, vor allem auch in Deutschland, war die gesunde Konkurrenz, die wir hatten und die wir haben. Genauso wie mit den internationalen Spielerinnen, mit denen ich befreundet bin. Das braucht man, wenn man gewisse Ziele hat. Ich bin jedenfalls nicht glücklich mit dem Ranking, was ich jetzt habe. Also ich bin natürlich im Großen und Ganzen sehr happy, in welche Richtung das geht - aber ich bin generell immer noch hungrig auf mehr und hoffe auch, dass wir wieder mehr deutsche Spielerinnen in den Top 70 haben.
SPORT1: Wie schwierig ist es, dass vor euch eine ganze Generation mehr oder minder weggebrochen ist und der volle Fokus so früh auf euch junge Talente liegt?
Lys: Ich würde nicht sagen, dass es schwer ist. Ich glaube, das ist der natürliche Lauf im Sport. Das ist bei den Männern genauso, wo Federer und Nadal aufgehört haben. Aber natürlich habe ich mich gefreut oder freue mich immer noch, mit super erfahrenen Spielerinnen wie der Tadde (Tatjana Maria; Anm. d. Red.) und der Laura (Siegemund; Anm. d. Red.) an einer Seite zu spielen. Da kann ich mir auch mal abschauen, was sie so mega-gut und konstant in ihrem Sport gemacht haben. Ich bin traurig, dass ich viele Spielerinnen gar nicht mehr miterlebt habe. Aber ich bin happy, die neue Generation ein bisschen anzuführen. Ich bin gespannt, was unsere neue Generation machen kann, weil wir da wirklich echt mega-gute Mädels haben. Mal schauen, was die nächsten Jahre so bieten.
SPORT1: Ihr Lauf bei den Australian Open Anfang des Jahres hat viele begeistert: Hat sich danach was für Sie verändert, sei es außerhalb des Platzes oder was das Selbstbewusstsein auf dem Court betrifft?
Lys: Das ist ganz interessant. Ich habe wirklich gehofft, dass ich dadurch mehr Selbstbewusstsein bekomme. Und natürlich hat es einen gewissen Booster gegeben, vor allem die Ranking-Position. Aber ich fühle mich nicht anders. Ich fühle mich genauso, wie ich mich letztes Jahr gefühlt habe. Das kann man positiv sehen. Das kann man auch ein bisschen negativ sehen. Aber ich bin immer noch dabei, zu lernen, wie ich mit der neuen Situation umgehe und mich anzupassen. Es wissen mittlerweile alle, dass ich ein Kopfmensch bin. Deswegen rattert der Kopf erstmal ein wenig. Aber ich bin zufrieden, wie es jetzt läuft und versuche dieses Jahr so gut zu meistern, wie es geht.
SPORT1: Generell auf Ihr Spiel geblickt: Was sind die Aspekte, wo Sie das meiste Verbesserungspotenzial sehen oder Sie in nächster Zeit gezielt daran arbeiten wollen?
Lys: Ich weiß, dass mein ganzes Team einen sehr starken Glauben an mich hat. Aber manchmal kommt in den falschen Momenten aus dem Nichts dann doch ein Zweifel. Und das ist auf jeden Fall etwas, woran ich arbeite.
„Dann ist der finanzielle Unterschied schon groß“
SPORT1: Für großes Aufsehen im Tennis sorgte zuletzt die Klage der PTPA, die die ATP, WTA und ITF sogar mit einem Kartell verglichen haben – wie ist Ihre Haltung dazu, werden Tennisprofis ausgebeutet?
Lys: Ich finde, die Formulierungen sind immer so extrem. Ich würde da nicht so extrem in die Richtung gehen. Ich glaube aber, es gibt auf jeden Fall ein paar Punkte der PTPA, die man ansprechen sollte. Bei manchen Punkten kann man nicht mit 100 Prozent übereinstimmen, aber ich bin auf jeden Fall der Meinung, dass wir im Bereich Transparenz Verbesserungspotenzial haben. Und ich glaube, die PTPA hat der ATP und der WTA einen kleinen Tritt in den Hintern gegeben. Wir als Spieler warten und sind gespannt, was die Antwort sein wird oder wie sich das entwickeln wird. Aber es gibt, wie in jeder Firma oder in jedem Lebensbereich, Bereiche, die Verbesserungen benötigen und die seit Jahren schon genau gleich sind. Und das ist genau das, was wir oder die PTPA da versuchen.
SPORT1: Die Gleichberechtigung im Tennis ist für Sie auch ein wichtiges Thema: Die Grand Slams rühmen sich oft damit, dass es Equal Pay gibt, aber wie macht sich für Sie bemerkbar, dass es immer noch Unterschiede gibt, was stört Sie am meisten?
Lys: Die wichtigsten Faktoren sind das Preisgeld und die Anzahl an Turnieren, die es dann wirklich da draußen gibt. Ich finde es zwar super, dass wir bei den Grand Slams das Equal Pay haben - aber bei allen anderen Turnieren haben wir das nicht. Und das sind im Endeffekt leider sehr große Unterschiede, weswegen auch die männlichen Tennisspieler, wenn man in die Top 200 und Top 300 schaut, ganz andere Einnahmen haben. Leider haben wir auch sehr viel weniger WTA-Turniere in einer Woche. Vor ein paar Wochen gab es drei ATP-Turniere in einer Woche. Und bei der WTA sind es meistens ein oder zwei. Wir haben also gar nicht so viele Möglichkeiten zu spielen wie die Männer. Wenn wir in die großen Turniere nicht reinkommen, spielen wir dementsprechend kleinere - und da ist der finanzielle Unterschied schon groß.
SPORT1: Letzte Frage: Was ist ihr Ziel für diese Saison und die Zukunft?
Lys: Ich würde zu einem Grand-Slam-Sieg nie ‚Nein‘ sagen. Das ist aber nicht auf 2025 bezogen, sondern generell auf die Zukunft. Das Wichtigste für mich ist immer die Gesundheit. Mein Ziel ist es, weiterhin am Körper zu arbeiten und in den Aspekten besser zu werden, in denen ich wegen meiner Gesundheit nicht besser werden konnte. Das ist mein größtes Ziel. Und natürlich weiterhin das Ranking so gut wie möglich zu verbessern.