Wimbledon-Sieger mit 17, Gefängnis mit Mitte 50: Kaum jemand hat solche Extreme im Leben hinter sich wie Boris Becker. Am 29. April 2022 wurde die deutsche Tennis-Legende wegen Insolvenzdelikte verurteilt und musste lange 231 Tagen im Knast von Wandsworth verbringen - nur drei Kilometer Luftlinie entfernt vom Center-Court in Wimbledon, der Stätte seines größten Triumphes.
Tennis-Legende Becker schonungslos über Knast-Zeit: „Es zerfrisst deine Seele!“
Becker: „Es zerfrisst deine Seele“
Im Interview mit der Süddeutschen Zeitung hat Becker nun schonungslos zahlreiche Details aus seinem Gefängnis-Alltag geteilt. Am meisten zugesetzt haben ihm auf Anhieb „die Schreie in der Nacht“ seiner Mithäftlinge. „Als ob Menschen um ihr Leben schreien. Das geht die ganze Nacht so“, verdeutlichte er. In den ersten Nächten dachte ich, die wollen sich alle selber umbringen", fügte er hinzu.
Wie heftig ein Knast-Aufenthalt der eigenen Psyche zusetzt, musste er sehr bald auch selbst feststellen. „Dein schlimmster Feind im Gefängnis ist die Zeit, die einfach stehen bleibt. Dieses Endlose zerfrisst deine Seele und kocht deinen Verstand weich“, erläuterte er.
Becker spricht schonungslos über Alltag mit den Mithäftlingen
Ein Entkommen davon gibt es nicht. „Wenn du aus der Zelle kommst, beginnt der Kampf ums Überleben. Wenn du in deine Zelle zurückgehst, verschluckt dich die Einsamkeit“, beschrieb er.
Auf Schutz vonseiten der Wärter konnte er nicht hoffen, da vielmehr die Gefangenen selbst die Gefängnisse kontrollieren. „Wer es nicht schafft, sich einer Gruppe von harten Jungs anzuschließen, hat keine Chance“, machte er klar. Wichtig sei in den ersten Tagen, sich unauffällig zu verhalten und auf die Körpersprache zu achten.
„Wenn du Schwäche oder Angst zeigst, kommt einer der vielen Bullys in deine Zelle und macht dich fertig“, verdeutlichte Becker.
Der Tennis-Star habe im Gefängnis sowohl von Vergewaltigungen gehört, als auch Drogen-Missbrauch hautnah miterlebt. „Es gab auch fast alles zu kaufen, Alkohol, Cannabis, Amphetamine. Die häufigste Droge ist Spice, eine Art Gefängnis-Crack, billig, sehr stark und supersüchtig machend“, führte er aus.
Vertrauen in andere Insassen zu fassen, wurde für Becker ein Ding der Unmöglichkeit, da kaum jemand die Wahrheit über seine Geschichte teilen wollte. „Du willst einschätzen, ob du es mit einem Dieb, Mörder oder Pädophilen zu tun hast. Mit der Zeit lernst du aber, dass die Antwort im seltensten Fall stimmt“, schilderte er.
Tennis-Legende bringt sich selbst in Not: „Mit richtigen Verbrechern gepokert“
Auch er selbst wollte seine „Vorgeschichte klein halten“. Ihm selbst haben „nur ganz, ganz wenige erkannt“, worüber er wegen seiner Kinder und vermögenden Freunde dankbar ist. „Dann wären die Erpressungen losgegangen“, weiß er.
Mit der „dummen und törichten“ Teilnahme an einer mehrtägigen Pokerrunde mit anderen Häftlingen brachte sich Becker allerdings auch selbst in Not. „Ich habe mit richtigen Verbrechern gepokert, die in meine Zelle kamen und mir eins über die Nase geben wollten, wenn ich nicht zahle. Hätte ein Freund außerhalb des Gefängnisses das Problem nicht mit einer Überweisung gelöst, würde ich heute anders aussehen“, führte er aus.
Becker wollte seine Kinder schützen: „Die Vorstellung war ein Horror“
Mut spendeten meist nur kurze Telefonate mit seiner Frau. „Das war mein Lebenselexier und die einfache Möglichkeit, ich selbst zu sein“, betonte er. Besuche erhielt er neben seiner Frau nur von einem kleinen Kreis. Seinen Kinder wollte er hingegen den Anblick ersparen.
„Die Vorstellung, dass meine Tochter ins Gefängnis zu gefährlichen Verbrechern kommen muss, um mich zu sehen, war ein Horror, für sie wie für mich“, sprach Becker über die Gründe dafür.
Zu seiner Erleichterung wurde Becker nach sieben Monaten Haft Mitte Dezember 2022 nach Deutschland abgeschoben. Die Erinnerungen wurde er jedoch nie so ganz los.
„Du nimmst das Gefängnis mit in dein neues Leben. Ich kann nur einschlafen, wenn die Schlafzimmertür komplett geschlossen ist. Im Bett liege ich so nah am Rand, dass ich fast rausfalle. Im Schlaf wird bei mir auch die größte Matratze zu einer schmalen Pritsche“, beschrieb er sein Trauma.
Becker nimmt Abstand von falschen Freunden: „Meine Sinne sind geschärft“
Allerdings hat Becker in seiner Zeit im Knast auch einiges gelernt und von einigen falschen Freunden Abstand genommen. „Meine Sinne sind geschärft für Menschen, die falsch spielen oder mich nur für ihre Zwecke benutzen wollen“ führte er aus.
Seine Frau sei einer der wenigen gewesen, die ihn in der „schwierigsten Zeit nicht verlassen“ habe. „Sie hat ein riesiges Herz, ist aber gleichzeitig sehr intellektuell und kopfgesteuert. Natürlich wird sie das Risiko Boris Becker scharf analysiert haben, aber anscheinend kam was Gutes dabei raus“, schilderte er.
Gesundheitlich gehe es ihm „deutlich besser als vor zehn 15 Jahren“, wobei er „altersgerechte“ Sportarten wie Powerwalking, Fahrradfahren oder Golf spielen zurückgreifen muss. Becker hat jedoch akzeptiert, dass dies der Preis für seine intensive Karriere war. „Hechten, hinfallen, wieder aufstehen: Meine Spielweise war zu aggressiv, um gesund zu sein, aber wegen ihr habe ich auch häufiger gewonnen als andere“, stellte er gegenüber.
Wimbledon-Triumpf zu früh? „Manchmal verfluche ich diesen Tag“
Auf seinen legendären Wimbledon-Sieg als 17-Jähriger sieht er inzwischen aber zwiegespalten. „Manchmal verfluche ich diesen Tag und wünsche, ich hätte Wimbledon erst mit 23 gewonnen. Der 17-Jährige, den jeder Deutsche glaubt zu kennen und beurteilen zu können, schaut mich immer noch morgens im Spiegel an“, illustrierte er.
Für die Deutschen sei er „eine Art Eigentum“ geworden. „Dass der Nationalheld Boris Becker Schwächen und Fehler hatte und sich weiterentwickeln wollte, wollte man mir nicht zugestehen“, machte er klar.
All das hat auch zu seinem Fall nach der Karriere beigetragen. „Ich war eine Tennis-Maschine“, führte er aus, jedoch sei er nach dem Ende seiner Laufbahn „vom Weg abgekommen“ und in einer „trügerischen Komfortzone“ unterwegs gewesen.
Becker sieht Schuld bei sich: „War meine Verantwortung“
Auf diese Weise stürzte er praktisch blind ins Verderben. „Mir war zum damaligen Zeitpunkt nicht bewusst, dass ich mit meinem Handeln gegen das Insolvenzrecht verstoße“, rechtfertigt sich, möchte die Schuld aber nicht nur bei anderen suchen.
„Es war meine Verantwortung, Verträge zu unterschreiben, die ich nicht verstanden habe, oder meinem Anwalt zu glauben, ich dürfe Geld aus meiner Firma entnehmen“, zeigte er sich selbstkritisch. „Heute würde ich drei andere Anwälte fragen“, verdeutlichte er.
„Gewinnen, Verlieren, Neu Beginnen“, lauten passend zu seiner Geschichte die Schlagbegriffe auf dem Cover seines neuen Buches „Boris Becker Inside“, das am 10. September auf dem Markt erscheint.