„Das ist natürlich sehr enttäuschend“. Deutschlands Ex-Teamchef Rainer Schüttler brachte es auf den Punkt, was wohl alle dachten, die den ersten Abstieg der DTB-Frauen seit 13 Jahren in Ismaning verfolgt hatten. Damit hatte man wahrlich nicht rechnen können, war das deutsche Team doch als klarer Favorit in die Playoffs des Billie Jean King Cups gegangen.
Deutscher Tennis-Abstieg: Ein trügerisches Fiasko - SPORT1-Kommentar
Dieser Abstieg ist trügerisch
Dass dennoch das Worst-Case-Szenario Abstieg eintrat, muss schonungslos aufgearbeitet werden, was Schüttler auch ankündigte. Klar ist aber auch, dass an diesem Wochenende sehr viel Negatives zusammenkam. So ist es nur schwer vorstellbar, dass mit einer fitten Laura Siegemund ein ähnlicher Ausgang eingetreten wäre.
Ihre Klasse im Doppel gepaart mit ihrer Abgezocktheit fehlte ebenso wie die Erfahrung und das unorthodoxe Spiel von Tatjana Maria, das die sehr jungen Belgierinnen beispielsweise noch nie gesehen haben dürften. Oder wie es Schüttler auf SPORT1-Nachfrage sagte: Siegemund und Maria fehlten an allen Ecken und Enden.
Deutsche Tennis-Damen kämpfen mit dem Druck
Doch obwohl beide schmerzlich vermisst wurden - wenngleich Siegemund auf der Bank teils die Co-Trainerin-Rolle zu übernehmen schien -, darf dies als Erklärung allein nicht ausreichen. Denn auch ohne die beiden war Deutschland klar favorisiert, schließlich hatte man mit Eva Lys (Nr. 40) und Ella Seidel (Nr. 85) die zwei vermeintlich besten Spielerinnen in den eigenen Reihen.
Bei Belgien und der Türkei suchte man eine Top-100-Spielerin dagegen vergeblich. Doch beide Gegner schien der Druck weniger zu stören als die deutsche Mannschaft. Das war vor allem am Sonntag bei der 20-jährigen Seidel spürbar, die nach ihrem großartigen Debüt am Freitag voller Selbstvertrauen hätte sein können. Doch das Wissen um die Konstellation, „Verliere ich, steigen wir ab“, lähmte sie regelrecht.
Einen Vorwurf kann man dem jungen Talent nicht dafür machen, dass sie diesem Druck nicht gewachsen war. Dennoch stellt sich die Frage, warum das noch jüngere belgische Team so viel besser mit den schwierigen Momenten umgehen konnte. Kann der Faktor „Heimspiel“ in den kritischen Phasen sogar ein Nachteil gewesen sein, weil man niemanden enttäuschen wollte?
Auch diese Frage muss sich beim DTB gestellt werden, damit man der jungen Mannschaft womöglich gezielt dabei helfen kann, dass dies in Zukunft nicht mehr passiert. Zumindest ein kleines Indiz dafür, dass der Druck von außen das Team durchaus beschäftigte: Nach der Niederlage stellte sich nur Schüttler den Fragen der Journalisten.
Goldene Generation um Kerber kaschiert Probleme
Der Abstieg fühlt sich dabei wie ein zu spät ereiltes Schicksal an, das seit Längerem mehrmals hätte eintreten können. Doch irgendwie bekam man im letzten Moment oft die Kurve - auch weil Siegemund und Co. zur Stelle waren. Nun bezahlt ausgerechnet das junge Team für die Fehler der Vergangenheit, als man sich zu sehr auf die Goldene Generation um Angelique Kerber ausgeruht hatte.
Die dahinter aufgehende Lücke geriet zu groß, was von Kerber, Andrea Petkovic, Julia Görges und Co. aber über lange Zeit kaschiert wurde. Doch auch beim DTB erkannte man dieses Problem bereits vor einiger Zeit und setzte einige Änderungen in Gang, die sich - so wirkt es aktuell zumindest - in den kommenden Jahren noch auszahlen werden. Deshalb stellt die aktuelle Situation ein trügerisches Fiasko dar, bei dem Panik der falsche Ratgeber wäre.
Mit Torben Beltz ist ein erfahrener Mann seit diesem Jahr neuer Chef-Bundestrainer bei den Damen, der so viele vielversprechende Talente wie seit langem nicht mehr auf dem Weg nach oben begleiten darf. Mit Tessa Brockmann stand sogar bereits eine davon im deutschen Kader. Doch diese brauchen noch zwei, drei Jahre mehr Zeit.
Bis dahin heißt es sich schütteln, die Fehler gut analysieren und nötige Änderungen in die Wege leiten. Klappt das, sollte der Abstieg nur ein kleiner Rückschlag auf dem Weg zu wieder besseren Zeiten im deutschen Damentennis gewesen sein.