Dominic Thiem geht hinter der Grundlinie des Arthur-Ashe-Stadions in New York zu Boden, sekundenlang bleibt er auf dem Hartplatz-Boden des größten Tennis-Stadions der Welt liegen. Einen Augenblick zuvor war eine Rückhand seines guten Freundes und Finalgegners Alexander Zverev seitlich ins Aus gesegelt.
Eine bittere Pointe der Geschichte
Der Österreicher genießt den Moment beinahe in Stille. Zuschauer sind aufgrund der Corona-Pandemie nicht im Stadion, um dem größten Karriereerfolg Thiems im Jahr 2020 beizuwohnen - dem Gewinn seines ersten Grand-Slam-Titels bei den US Open.
„Es hat so sein müssen. Wie meine ganze Karriere. Ein Auf und Ab, einfach nur noch Drama“, sagte er nur wenige Minuten nach der Nervenschlacht, die über fünf Sätze ging - nichtsahnend, wie treffend er damit auch über das sprach, was in der Zukunft noch folgen sollte.
Dominic Thiem ist seit langem nicht mehr der Alte
Denn nachdem Thiem auf dem Höhepunkt angekommen war, folgte eine Talfahrt, die Thiem an den Punkt trieb, seinen Rücktritt anzukündigen - den er am Dienstag mit seinem letzten Match gegen den Italiener Luciano Darderi beim Heimturnier in Wien offiziell vollzogen hat.
Thiem verlor mit 6:7 (6:8), 2:6 sein Erstrunden-Match gegen die Nummer 42 der Welt. Es war ein Schlussakkord, der leider ebenso folgerichtig schien wie die Umstände des großen Sieges gegen Zverev vier Jahre zuvor.
Der Dominic Thiem von 2024 war meilenweit entfernt von der alten Konkurrenzfähigkeit. „Das ist eine andere Galaxie, wie ich früher gespielt habe“, sagte er selbst im April bei den BMW Open in München. Auch nach dem Match gegen Darderi sprach er offen aus: „Mein Grundniveau ist in den vergangenen Jahren einfach gesunken.“
Noch vor wenigen Jahren sah es aus, als würde Thiems Karriere sich in eine völlig andere Richtung entwickeln: Er galt als legitimer Nachfolger auf den Thron von Sandplatz-König Rafael Nadal. Vier Mal zog Thiem gegen Nadal bei den French Open den Kürzeren, darunter zwei Mal im Finale, 2018 und 2019. Auch dem großen Ziel, als zweiter Österreicher nach Thomas Muster Nummer 1 der Weltrangliste zu werden, war Thiem nicht fern.
Jetzt aber, wo auch der Spanier das Ende seiner langen Abschiedstour angekündigt hat und der Weg zum Titel in Roland Garros damit voraussichtlich bald etwas weniger steinig wird, profitieren andere und nicht der ehemalige „Sandplatz-Prinz“, der im ATP-Ranking zuletzt auf Platz 318 abgerutscht war.
Doch was ist passiert, das Thiem so aus der Bahn warf?
Nach US-Open-Sieg geht es anfangs gut weiter
Der Absturz begann - anders als viele meinen - nicht sofort nach dem Triumph in New York. Auch in den darauffolgenden Wochen präsentierte sich der Major-Champion weiter in starker Form, zog unter anderem ins Endspiel der ATP-Finals ein.
Doch in der Saison 2021 folgte der Bruch: Der 17-malige ATP-Titelträger kämpfte wenige Monate nach der Erfüllung seines selbst ernannten Lebenstraums mit sich selbst. Ein Motivationsloch tat sich auf, Thiem fiel hinein.
Zu allem Überfluss gesellte sich zu den psychischen Herausforderungen im Juni 2021 ein körperlicher Rückschlag hinzu, mit dem der 31-Jährige bis zuletzt zu kämpfen hatte. In der ersten Runde des Turniers auf Mallorca zog er sich eine Gelenkverletzung an seiner rechten Schlaghand zu.
Nach einer rund neunmonatigen Zwangspause folgte im März 2022 das Comeback, das jedoch schleppend verlief. „Durch die lange Pause und die Schonhaltung des Handgelenks haben sich einige falsche Sachen in meine Vorhand eingeschlichen“, erläuterte Thiem.
Wenige Lichtblicke, viele Zweifel
Einen kleinen Hoffnungsschimmer entfachte er durch den Finaleinzug beim 250er-Event in seiner österreichischen Heimat Kitzbühel 2023 - doch die Ernüchterung folgte schnell. Der Finaleinzug blieb eine Ausnahme.
Selbst auf der zweitklassigen Challenger Tour konnte er sich kein Selbstvertrauen erspielen, kassierte dort Niederlagen gegen unbekanntere Namen wie gegen seinen Landmann Lukas Neumayer oder Daniel Michalski.
Die Versuche, sich durch Trainerwechsel neue Impulse zu holen und so auf die Erfolgsspur zurückzukehren, liefen ebenfalls ins Leere. Von seinem Ex-Coach Benjamin Ebrahimzadeh trennte sich Thiem zu Beginn des Jahres nach der Erstrunden-Niederlage bei den Australian Open - die sich als sein letztes Major-Turnier entpuppten. „Ich sehe das auch als letzte Chance“, hatte er damals erklärt. Bald darauf war klar: Auch die Trainer-Rochade lief ins Leere.
Karriereende schon nach der Tennis-Saison
Wie groß das Potenzial war, dass Thiem noch viel mehr hätte erreichen können, zeigt vor allem eine Statistik: Thiem war neben Andy Murray der einzige Spieler, der jeden der „Big Three“ - Nadal, Novak Djokovic und Roger Federer - mindestens fünfmal besiegt hat.
Insgesamt schafften nur Jo-Wilfried Tsonga, Juan Martin del Potro (jeweils 17) sowie Murray (30) schafften dies noch häufiger, wobei diese auch öfter das Vergnügen - oder das Leid - hatten, auf die Großen Drei zu treffen.
Während sich nun mit Carlos Alcaraz und Jannik Sinner eine neue Elite herausbildet, geht mit Thiem - ironischerweise noch vor Nadal - ein besonders unglücklicher Vertreter der Generation dazwischen.