Seit am vergangenen Samstag der Vergleich publik wurde, auf den sich der Weltranglistenerste Jannik Sinner mit der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) geeinigt hatte, gärt es auf der Tennis-Tour. Prominente Kollegen des Südtirolers - wie Novak Djokovic oder Alexander Zverev - kritisierten die dreimonatige Sperre, durch die Sinner kein Grand-Slam-Turnier verpassen wird, scharf.
„Sinner schadet unserem Sport immens“
Doping-Experte Fritz Sörgel sieht sogar „verheerende“ Folgen für den Anti-Doping-Kampf. „Man muss es so hart sagen: Was die WADA da gemacht hat, bedeutet das Ende des Anti-Doping-Systems in seiner bisherigen Form“, sagte Sörgel bei SPORT1.
Aach der frühere Tennisprofi Alexander Waske sieht angesichts des Deals ein falsches Signal, das dem Tennissport schadet. Im SPORT1-Interview fordert der 49-Jährige, „ein klares Regelwerk, bei dem drinsteht, was genau zu tun ist – und bei dem nicht verhandelt wird.“
„Das ist definitiv ein Kuhhandel“
SPORT1: Herr Waske, drei Monate wurde Jannik Sinner gesperrt, verpasst dabei aber kein Grand-Slam-Turnier. Wie finden Sie das?
Alexander Waske: Das ist definitiv ein Kuhhandel, und darüber beschweren sich die meisten Profis. Es gab jetzt diesen Zeitpunkt, wo man diese Sperre wunderbar einbauen konnte, ohne dass Sinner ein Grand-Slam-Turnier verpassen würde. Auch nach den US-Open wäre das möglich gewesen. Keiner versteht, dass so etwas wie ein Vergleich getroffen wurde. Die meisten Profis verlangen eine klare Handhabe, ein klares Regelwerk, bei dem drinsteht, was genau zu tun ist – und bei dem nicht verhandelt wird. Die ersten Athleten, wie Daniil Medvedev sehen das schon als Präzedenzfall, wo man demnächst seine eigenen Strafen verhandeln kann. Der Tennissport nimmt einen Schaden aus dieser Sache, weil er als dubios hingestellt wird.
SPORT1: Alexander Zverev sagt: ‚Entweder hat sich jemand etwas zu Schulden kommen lassen, dann gehört er länger gesperrt. Oder er hat sich nichts zu Schulden kommen lassen – dann gehört er nicht gesperrt.‘ Hat er recht?
Waske: Ich habe bei den US Open mit Sinners PR-Agentin gesprochen, die mir erklärt hat, dass beim Wert seiner positiven Dopingprobe erst die achte Stelle hinter dem Komma keine Null war. Er ist also so verschwindend gering, dass sie diesen als nichtig ansieht. Dennoch stimme ich Alexander Zverev zu: Man hätte entweder sagen müssen, dass es ganz offenkundig unbeabsichtigt war, dann hätte man Sinner freisprechen müssen. Andernfalls hätte man ihn länger als drei Monate sperren müssen.
SPORT1: Welche Konsequenzen muss es aus diesem Fall geben?
Waske: Der erste Punkt, der von allen moniert wird: Es muss eine klare Struktur her, wie getestet wird und wer testet. Was verlangt wird, ist eine ganz klare Richtlinie. Es darf nur eine Organisation geben, die das durchführt und alles im Griff hat. Und dann wird nicht verhandelt. Die Dopingfälle, die es schon gab, wie bei (Simona) Halep oder Maria Scharapova waren auch seltsam – aber sie hatten nicht so eine kurze Sperre zur Folge.
„Das ist ein riesiger Heckmeck für die Spieler“
SPORT1: Es gibt das Sprichwort: „Viele Köche verderben den Brei“. Ist das das derzeitige Dilemma im Anti-Doping-Kampf ?
Waske: Ich habe Spieler bei uns in der Akademie, die in der Vorbereitung von der ATP, der WTA, der ITF, der WADA, der NADA getestet werden! Da sind so viele Agenturen im Spiel, die sich natürlich nicht untereinander absprechen, wer wann und wo testet. Bei Andrea Petkovic hatten wir den Fall, dass zwei verschiedene Agenturen am selben Tag da waren, um einen Dopingtest durchzuführen. Die als zweite gekommen sind, sind wieder gegangen, dafür am nächsten Tag wieder gekommen, um den Test durchzuführen. Das ist ein riesiger Heckmeck für die Spieler.
SPORT1: Wie könnte man es transparenter machen?
Waske: Man hat die ITF, die ATP, die WTA, dann noch den Olympischen Sportbund obendrauf. Und die WADA. Aber wer ist zuständig? Die ITF organisiert die Slams, hat aber mit der ATP nichts zu tun. Die Zuständigkeiten sind nicht klar geregelt. Vielleicht müsste alles an die WADA gehen und wir testen nicht mehr selbst. Bei anderen Sportarten gibt ja auch keine zwei oder drei zusätzliche Organisationen, die da mitmischen. Das wäre wahrscheinlich das Einfachste. Aber wenn jeder sein eigenes Süppchen kocht, dann kommt so etwas Krummes dabei heraus.
SPORT1: Ist Sinners Reputation mit dieser Mini-Sperre jetzt angeknackst?
Waske: Ich finde Sinner als Charakter fantastisch! Er ist ein richtiger Champion, der immer gute Worte findet, der extrem sportlich ist und dem man es als Persönlichkeit nicht zutraut zu dopen. Trotzdem schadet er unserem Sport immens, weil er natürlich das Beste für sich herausholen wollte. Aus seiner Sicht hat er nichts falsch gemacht, trotzdem verlangen die anderen Spieler zurecht klare Richtlinien. So ist es Wischiwaschi.
SPORT1: Wird Sinner diesen Makel wieder los?
Waske: Keiner attackiert Sinner persönlich, er macht einen sehr integren Eindruck. Und wenn es wirklich so war, wie er es schildert, dann ist es eine unglückliche Sache. Aber dann hätte er gar keine Sperre bekommen sollen. Das ist jetzt das Problem, weil es so aussieht wie jemand, der sich vor Gericht schuldig bekennt, damit die Strafe gering ist, obwohl er eigentlich unschuldig ist. Leider wird ihn das in seinem Sportlerleben begleiten. Er könnte ein riesiger Champion in unserem Sport werden, dem aber diese Sache immer nachhängen wird. Es wird immer ein G‘schmäckle bleiben, wie der Schwabe sagt.