Die deutsche Tennis-Legende Boris Becker hatte bereits eine böse Vorahnung. Eigentlich sollte das Match gegen Tallon Griekspoor für Alexander Zverev nur der erste Schritt auf dem Weg zum anvisierten Turnier-Sieg von Indian Wells sein, jedoch lag ein frühes Scheitern irgendwie schon in der Luft.
Zverev-Krise: Becker mit Vorahnung
„Wir haben instinktiv den Podcast ein paar Tage später aufgenommen, weil wir kein gutes Gefühl hatten“, verriet Becker in seinem Podcast mit Ex-Spielerin Andrea Petkovic. „Trouble im Tennisparadies: Das Favoritensterben von Indian Wells“, lautet der Titel der aktuellen Folge vom 11. März.
Dabei erwischte es nicht nur Novak Djokovic und Casper Ruud früh, sondern eben auch Zverev. Das deutsche Tennis-Ass hatte bereits in den Wochen zuvor enorm zu kämpfen und unterlag in Buenos Aires Franciso Cerúndolo, in Rio kurz darauf Francisco Comesana und schließlich in Acapulco Learner Tien. Alle Gegner dürften einem Top-Spieler wie Alexander Zverev eigentlich nicht gefährlich werden.
„Ich habe keine Antworten momentan. Ich hab keine Ahnung, um ehrlich zu sein“, gestand Zverev nach seinem Aus.
Es scheint fast so, als würde Zverev an einer Art Sinner-Fluch leiden. Am Tag der Sperre des Italieners (15. Februar) begann schließlich auch die Zverev-Misere mit der Pleite gegen Cerúndolo.
Becker erklärt Zverev-Dilemma
Eigentlich ständen Zverev alle Türen offen, um Sinner als Weltranglisten-Ersten vom Thron zu schubsen, jedoch scheint genau das den gebürtigen Hamburger zu lähmen.
„Nach den großen Diskussionen um den Dopingfall von Sinner schauten natürlich alle auf Zverev. Wenn du die nächsten Turniere vernünftig spielst, dann bist du die Nummer eins“, erkennt Becker einen Zusammenhang mit der jüngsten Krise. Zverev habe „angefangen nachzudenken, wo er was spielen muss, um die Nummer eins zu werden“, was Becker zufolge „immer der Anfang vom Ende“ sei.
Die deutsche Tennis-Ikone ermahnt Zverev, sich auf jede Runde und auf jeden Gegner zu fokussieren und weniger den Blick auf die Weltrangliste zu richten. „Du vergisst, die erste Runde zu spielen. Die Hausaufgaben im Tennis musst du machen“, monierte er.
„Ich glaube, dass sein Kopf - vielleicht auch sein Umfeld - sich zu viel mit dem Platz an der Sonne beschäftigt haben, ohne die Arbeit dafür zu leisten“, kritisiert er. Zverevs Team wird nun besonders gefordert sein, den zunehmend wackelnden Star-Spieler wieder in die Spur zu bekommen.
Petkovic erkennt „Riesen-Unsicherheit“
Petkovic, die in ihrer Karriere sieben WTA-Titel gewann, merkte an, schon bei der Zverev-Niederlage gegen Tien in in Acapulco „eine Riesen-Unsicherheit“ gesehen zu haben. „Die Vorhand ist wieder sehr langsam, sehr kurz. Er hat gerade einen schönen Zacken im Selbstbewusstsein bekommen“, legte sie sich fest.
Auch Becker ist der Ansicht, dass die Probleme vor allem im mentalen Bereich festzumachen sind und die Negativserie zum Verlust des Selbstvertrauens geführt habe. „Er ist momentan mehr mit sich selbst beschäftigt als mit dem Gegner, das ist für mich eine Frage der Psyche, der nervlichen Anspannung“, führte er aus und ging sogar noch weiter: „Für mich ist das eine mentale Blockade“, verdeutlichte er, selbst wenn man mit dem Wort „vorsichtig sein“ müsse.
Becker sendet Mahnung an Zverev
Becker hat jedoch auch Verständnis für die aktuell schwierige mentale Situation für das Tennis-Ass. „Es ist menschlich, er kann seinen Kopf nicht ausschalten. Ich weiß nicht, ob im Umfeld alle von der Nummer eins geträumt haben und er kaum noch schlafen kann, weil er an nichts anderes mehr denkt. Es ist ja auch ein Kindheitstraum, ein Lebensziel“, schilderte er, fügte aber sogleich mahnend hinzu: „Man darf es nicht übertreiben.“
Zverev müsse sich nun „wieder runterfahren, anfangen, besser Tennis zu spielen“ und seinen Terminkalender überdenken.
Turnierplan Schuld an Zverev-Krise?
Becker sieht die Gründe für den schwächelnden Zverev schließlich auch an der Turnierauswahl. „Was ist das denn für eine Planung?“, überkommt es dem 57-Jährigen mit Blick auf die letzten Stationen, Argentinien, Brasilien, Mexiko und USA.
„Ich sehe da keinen anderen Topspieler außer Zverev“, machte er klar. Die Reise nach Argentinien sei „eine der längsten Langstreckenflüge“, die er kenne und zudem sei der langsame Sand von Buenos Aires und Rio de Janeiro besonders schwierig. „Irgendwann muss der Arme auch mal platt sein von diesen ganzen Zeitumstellungen und Belagwechseln. Da kannst du deine Form nicht finden“, monierte Becker und warf dem Umfeld vor, „nicht die ideale Planung gefunden“ zu haben.
Zur Ehrenrettung der Zverev-Planung sei jedoch gesagt, dass er nach seiner Final-Niederlage bei den Australian Open immerhin ausschließlich in Amerika gespielt hat. Zudem liegen Buenos Aires und Rio in der identischen Zeitzone und auch für die Turniere von Acapulco und Indian Wells musste er sich „nur“ um drei und im Anschluss eine weitere Stunde umstellen. Zverev hat praktisch den amerikanischen Kontinent von Süd nach Nord durchreist. Dies klingt gewissermaßen gar nicht so verkehrt, wenngleich der Ertrag ausblieb.
Zverev noch immer mit großem Rückstand auf Sinner
Zverev hat in der Tennis-Weltrangliste mit 7495 Punkte 3375 Zähler Rückstand auf Jannik Sinner (11.330 Punkte). Von hinten lauert zudem Carlos Alcaraz, der mit 6610 Punkten auch noch nach ganz vorne schielen dürfte.
Gewissermaßen erinnert Zverevs Jagd nach dem Platz an der Sonne an seinen verzweifelten Kampf um den ersten Grand-Slam-Erfolg. Der 27-Jährige stand schon einige Male vor dem großen Triumph, scheiterte aber fünfmal im Halbfinale und verlor drei Finals. Zuletzt unterlag Zverev Ende Januar im Finale der Australian Open. Gegner war hier ausgerechnet Sinner.
Die Sperre des Italieners endet am 5. Mai, kurz bevor mit den French Open das zweite Grand-Slam-Turnier des Jahres ansteht. Zverev bleiben also nur noch zwei Monate, um seinen Traum Wirklichkeit werden zu lassen. Der Druck wird entsprechend nicht weniger werden.