Er ist eine der größten Sportlegenden Amerikas. Und auch viele, die mit seiner Vita nicht vertraut sind, kennen seinen Namen - aus traurigen Gründen.
Tragödie einer amerikanischen Ikone
Lou Gehrig‘s disease - Lou-Gehrig-Syndrom - ist das vor allem in den USA geläufige Synonym für die Krankheit ALS, an der auch der bekannte Astrophysiker Stephen Hawking und der früh verstorbene Bundesliga-Fußballer Krzysztof Nowak gelitten hatten.
Auch Baseball-Star Gehrig, heute vor 84 Jahren verstorben, war kein langes Leben vergönnt. Das traurige Schicksal der Ikone der New York Yankees schuf das Bewusstsein für die unheilbare Erkrankung.
Denn das Vermächtnis, das Gehrig hinterlassen hat - und das auch in Hollywood verewigt worden ist - ist gewaltig. Und seine Geschichte nicht nur für Sport-Fans bis heute bewegend.
Lou Gehrig erlebte schon als Kind Trauriges
Lou Gehrig wurde am 19. Juni 1903 in New York geboren, der deutsche Klang seines Namens ist kein Zufall: Er war Sohn der deutschen Auswanderer Christina Foch und Heinrich Gehrig, hieß auch eigentlich Heinrich Ludwig Gehrig - sein Rufname leitete sich von „Ludwig“ ab,
Schicksalsschläge musste Gehrig schon früh verkraften: Von vier Kindern des Ehepaars Gehrig war er das einzige, das seinen 18. Geburtstag erlebte: Sein Bruder starb bereits als Baby, seine beiden Schwestern überlebten Masern und Keuchhusten nicht. Darüber hinaus war sein in der Stahlbranche arbeitender Vater Alkoholiker und auch wegen einer Epilepsie-Erkrankung oft arbeitslos, seine Mutter musste als Hausmädchen für einen Großteil des Einkommens der Familie sorgen.
Gehrigs sportliches Talent wurde zum Ausweg aus der Armut: Er bestach an der High School in verschiedenen Disziplinen, bekam von der Columbia University sogar ein Football-Stipendium. Seine Leidenschaft und seine Gabe für den Baseball war aber größer.
Ein Aufstieg, der Amerika in schwerer Zeit inspiriert
Am 1. Juni 1925 feierte Gehrig sein Debüt für die Yankees, der Auftakt einer unglaublichen Serie, die Geschichte schreiben sollte: Gehrig stand 2.130 (!) Spiele in Folge auf dem Platz - ein Rekord, den erst Cal Ripken Jr. 1995 übertrumpfte.
Der First Baseman Gehrig wurde sechs Jahrzehnte vorher zur Legende als ewig zuverlässiger Marathonmann, verdiente sich den Spitznamen „Iron Horse“. Er gewann mit den Yankees sechs Meisterschaften, wurde zweimal MVP der Liga.
Gehrigs Aufstieg vom armen Einwandererkind zum großen Sporthelden war eine inspirierende Geschichte in einer Zeit, in der Baseball noch mehr als heute die Herzkammer der amerikanischen Sportwelt war - und willkommene Ablenkung in der Zeit der großen Wirtschaftskrise und der Bedrohung durch den heraufziehenden 2. Weltkrieg.
Mit Babe Ruth prägte er den Mythos New York Yankees
Zusammen mit Babe Ruth - der anderen großen Yankees-Legende seiner Ära - führte Gehrig die berüchtigte „Murderer‘s Row“ an, benannt nach einer Schwerbrecher-Sektion im New Yorker Tombs-Gefängnis. Für Gehrig, Ruth und Co. war ein Kompliment wegen ihrer kongenialen sportlichen Klasse.
Privat hatten die beiden Ikonen dabei Spannungen kurioser Natur: Ruth mied Gehrig ab 1933 abseits des Feldes - er war sauer, weil Gehrigs Mutter den Kleidungsstil seiner Tochter kritisiert hatte.
Die sportliche Chemie der beiden wurde nicht spürbar beeinträchtigt: Wie Ruth produzierte auch Gehrig Jahr für Jahr Top-Run-Statistiken. Seine 185 RBI (Runs Batted In) von 1931 sind bis heute noch der Rekord in der American League, einer der zwei Conferences der MLB. Darüber hinaus schlug er als erster Spieler vier Homeruns in einer Partie. (NEWS: Alle aktuellen Infos zur MLB)
Dramatisches Ende einer Fabel-Karriere
Das traurige Ende der Fabelkarriere begann schleichend: In der Mitte der Saison 1938 erkannte Gehrig bei sich erste, für ihn nicht erklärbare Erschöpfungssymptome. Im Jahr darauf stellte ein großer Leistungseinbruch Fans und Teamverantwortliche vor ein Rätsel.
Dem vorherigen Ausnahmespieler gelang plötzlich kein einziger Homerun mehr, seine Schlagkraft hatte ebenso nachgelassen wie seine Laufleistung. Schon bei der Saisonvorbereitung war zu bemerken, dass etwas nicht stimmte. Gehrig brach einmal sogar beim Training zusammen.
Wegen des großen Respekts vor seiner Lebensleistung zögerten die Yankees, Gehrig aus der Mannschaft zu nehmen - bis der schließlich selbst an seinen damaligen Manager Joe McCarthy herantrat und ihm „zum Wohle des Teams“ mitteilte: „Ich setze mich auf die Bank, Joe.“
Als der Stadionsprecher von Gegner Detroit Tigers die Nachricht verkündete, dass Gehrigs historische 2130-Spiele-Serie beendet war, erhoben sich die Anhänger des gegnerischen Teams zu stehenden Ovationen. Gehrig saß auf der Bank und weinte vor Rührung.
Unheilbarer Krankheit kostet Gehrig das Leben
Für den Rest der Saison blieb Gehrig offiziell Teil der Mannschaft und ihr Kapitän, bestritt aber kein Spiel mehr für sie. Nach einer eingehenden Untersuchung wurde im Juni 1939 der Grund für das Schwinden von Gehrigs Kräften gefunden: Amyotrophe Lateralsklerose.
Damals war der breiten Öffentlichkeit noch wenig über die Krankheit ALS bekannt - die Ärzte aber machten Gehrig frühzeitig keine Illusionen: Er erfuhr an seinem 36. Geburtstag, dass sein Leben sich dem Ende zuneigte: Gehrig würde durch die Krankheit nach und nach seine motorischen Fähigkeiten verlieren und zunehmende Probleme mit dem Sprechen, Schlucken und Atmen bekommen.
Bei seiner Zugreise aus der Spezialklinik in Minnesota zurück nach New York wurde Gehrig von einer Gruppe junger Pfadfinder erkannt, die ihm freundlich zuwinkten und viel Glück wünschten. Gehrig winkte zurück und flüsterte einem mitreisenden, befreundeten Reporter zu: „Sie wünschen mir Glück - und ich sterbe.“
Gehrigs Schreckensdiagnose wurde direkt öffentlich gemacht, zwei Tage später - am 21. Juni 1939 - verkündeten die Yankees sein Karriere-Ende.
„Ich fühle mich wie der glücklichste Mensch der Erde“
Vor seinem Tod durfte Gehrig noch miterleben, wie sein Vermächtnis umfassend gewürdigt und zelebriert wurde: Die Yankees beschlossen, dass Gehrigs Nummer vier nicht mehr vergeben werden sollte, die heute zur Tradition gewordene Ehrung war damals ein Novum in der MLB. Gehrig wurde auch noch zu Lebzeiten von der Baseball Writers‘ Association in die Hall of Fame gewählt - eigentlich ist dies erst fünf Jahre nach dem Karriereende möglich. So viel Zeit hatte Gehrig aber nicht mehr.
Am 4. Juli 1939 veranstaltete die MLB den „Lou Gehrig Appreciation Day“, er selbst hielt dabei noch eine berühmte Rede im voll besetzten Yankee Stadium, die viele Menschen zu Tränen rührte. Der Kernsatz der Ansprache, der zur Legende wurde: „Ihr habt zwei Wochen lang gelesen, wie schlecht es mir geht - heute fühle ich mich wie der glücklichste Mensch auf dem Angesicht der Erde.“ (“Today I consider myself the luckiest man on the face of the earth.“)
Gehrigs „Farewell to Baseball Address“ wurde zu einer der berühmtesten Reden der amerikanischen Nationalgeschichte, so bekannt wie die großen Wortbeiträge von Abraham Lincoln und Martin Luther King oder die Weltkriegs-Reden von Winston Churchill und dem damaligen US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt.
Fans, Teamkollegen, Gegner, die komplette Sportnation Amerika trauerten, als Gehrig am 2. Juni 1941 den nicht gewinnbaren Kampf gegen die Krankheit ALS verlor. Die Flaggen in New York und allen MLB-Stadien wehten ihm zum Gedenken auf Halbmast. Präsident Roosevelt schickte Witwe Eleanor Blumen.
Hollywood-Film verewigt den Mythos
Gehrigs Rede im Yankee Stadium wurde auch zum emotionalen Zentrum eines Hollywood-Films, in dem Gehrigs Leben mit Gary Cooper in der Hauptrolle nachgezeichnet wurde. Das bereits 1942 gedrehte Rührstück „The Pride of the Yankees“ (“Der große Wurf“) zementierte Gehrigs Mythos in der amerikanischen Kultur auch über den Sport hinaus.
Auch Weggefährte Babe Ruth spielte in der Verfilmung von Gehrigs Leben mit - die tragischen Geschehnisse hatten zuvor dafür gesorgt, dass Ruth seinen Zwist mit Gehrig beiseite legte und dem erkrankten Teamkollegen und Frau Eleanor beistand.
Nach seinem Tod widmete die 1984 verstorbene Witwe von Gehrig ihr Leben der Aufgabe, die ALS-Forschung voranzutreiben.
Wie nachhaltig Gehrig Amerika als Sportler und Mensch inspiriert hat, zeigte sich auch deutlich über sein Ableben hinaus: 1999 erhält er bei der Wahl zum besten Teams des Jahrhunderts die meisten Stimmen.