Die Chance, Meister in der Major League Baseball zu werden, ist für Max Kepler in dieser Saison wohl so groß wie noch nie. Der Berliner spielt für Mit-Favorit Philadelphia Phillies - wird allerdings weniger eingesetzt als bei seinem Ex-Team.
"Fußball ist sehr simpel und einfach zu verstehen": Deutscher MLB-Star Kepler im Interview
Ist er der nächste deutsche US-Champion?
Im SPORT1-Interview spricht Kepler über seine neue Rolle, den Titeltraum und vergleicht seine Sportart mit dem Fußball.
SPORT1: Herr Kepler, im letzten SPORT1-Interview im Februar waren Sie gerade im Spring-Training bei Ihrem neuen Verein angekommen und konnten verständlicherweise noch nicht viel über die Philadelphia Phillies sagen. Mittlerweile sind sechs Monate vergangen, wie fällt Ihr Zwischenfazit aus?
Max Kepler: Super. Ich genieße jeden Moment hier, die Leute sind alle sehr gut dabei, alle korrekt, freundlich. Bislang ist es ein sehr schönes Erlebnis gewesen.
„Das ist mir alles ziemlich Wurst“
SPORT1: Allerdings gab es zur Trade-Deadline Ende Juli bereits Gerüchte, wonach die Phillies Sie bereits wieder abgeben wollten. Wie sind Sie damit umgegangen?
Kepler: Ich wusste gar nichts davon. Vielleicht war in den Medien davon was zu hören, aber ich verfolge keine Medien, weil ich das nicht kontrollieren kann. Ich kann hier nur kontrollieren, was ich auf dem Feld leisten darf - und sonst ist mir das alles ziemlich Wurst.
SPORT1: Sie sollten eigentlich in jedem Spiel auf dem Feld stehen. Aber diese Rolle spielen Sie mittlerweile nicht mehr. Wie ist das, wenn die Erwartungen, die Sie hatten, nicht erfüllt werden?
Kepler: Man muss sich anpassen. Mir wurde eine neue Rolle vorgestellt. Es hat vielleicht ein paar Tage gedauert, bis ich mich angepasst habe und mental ok damit war. Aber das große Bild ist, gemeinsam Spiele und die World Series zu gewinnen. Also bin ich mit meiner neuen Rolle einverstanden.
SPORT1: Welche Rolle ist das?
Kepler: Einfach bereit zu sein für alles, was kommt, das zu bieten, was die Mannschaft von mir braucht.
Das Stigma der Linksschläger
SPORT1: Sie sind Linksschläger und spielen mittlerweile nicht mehr von Beginn an, wenn der Gegner einen Linkshänder als Pitcher aufbietet. Können Sie für einen Laien mal erklären, was dahintersteckt?
Kepler: Im Baseball existiert ein Stigma, dass der linkshändige Schwinger mehr Schwierigkeiten gegen einen linkshändigen Pitcher hat. Deswegen haben manche Mannschaften die Einstellung, dass sie gegen linkshändige Werfer nur rechtshändige Schläger aufbieten, weil sie, basierend auf Statistiken, denken, sie hätten so eine größere Chance, das Spiel zu gewinnen. Aber das Gleiche gilt natürlich auch für rechtshändige Schläger gegen rechtshändige Werfer.
SPORT1: Inwiefern können Sie die Entscheidung von Trainer Rob Thomson nachvollziehen, Sie nicht mehr gegen linkshändige Pitcher starten zu lassen?
Kepler: In diesem Job muss man zu einem Punkt kommen, wo man einfach die Arbeit macht, die von einem verlangt wird. Und zu diesem Zeitpunkt meiner Karriere bin ich mit meiner Karriere zufrieden. Ich bin mit der Mannschaft zufrieden, mit der ich jetzt hier arbeiten darf. Der Job, der mir vor der Saison angeboten wurde, hat sich verändert. Aber ich habe mich angepasst und für mich ist alles im grünen Bereich.
Pfiffe gegen Kepler: „Die dürfen buhen“
SPORT1: Ihr Verhältnis zu den Phillies-Fans scheint hingegen ausbaufähig. Sie wurden kürzlich ausgebuht und haben daraufhin gesagt, dies sei deren Art, Liebe zu zeigen. Inwiefern war das Galgenhumor?
Kepler: Ich find’s super, dass die Fans zum Stadion kommen, bei jedem Heimspiel haben wir 45.000. Die dürfen buhen, die dürfen jubeln, die dürfen applaudieren, kritisieren und Komplimente machen. Dafür zahlen sie Eintritt. Ich freue mich einfach, dass sie zu den Spielen kommen und Energie verbreiten - egal, ob’s negativ oder positiv ist.
SPORT1: Ihre Statistiken waren in den vergangenen Spielen wieder etwas besser, liegen in dieser Saison aber dennoch unter den Durchschnittswerten Ihrer Karriere. Wie beurteilen Sie Ihre Leistung?
Kepler: Könnte auf jeden Fall besser sein. Aber wie gesagt, mit einer neuen Rolle muss man sich anpassen. In meinen besten Jahren durfte ich jeden Tag ran, jeden Tag spielen, egal, ob es gegen links- oder rechtshändige Werfer war. Ich persönlich habe dann einen besseren Rhythmus, sehe den Ball besser. Aber an die freien Tage habe ich mich in diesem Jahr besser angepasst als in den Jahren davor, als ich auch mitunter gegen Lefties (englischer Ausdruck für Linkshänder, Anm.) nicht zum Einsatz kam. Ich bin zufrieden, mental geht es mir gut.
„Hier wird viel mehr Geld investiert“
SPORT1: Was macht die Franchise so besonders?
Kepler: Ich habe nur eine andere Franchise, mit der ich es vergleichen kann. Das waren die Twins (Kepler war zuvor 15 Jahre bei den Minnesota Twins/Anm.). Hier merkt man, dass viel mehr Geld investiert wird in die Sachen hinter den Kulissen. Vom Training her, über Ernährung, Physiotherapie und mentale Betreuung. Und man merkt, dass die Erwartungen andere sind. Wenn wir in Minnesota ein paar Spiele verloren hatten, war es, glaube ich, vielen egal, die Saison ging halt weiter. Und hier heißt es: ‘Was haben wir gestern falsch gemacht und wie werden wir das verbessern?’. Die Kommunikation ist anders, man versucht immer, die Kleinigkeiten zu verbessern.
SPORT1: Es gab in den vergangenen Monaten deutsche Profis, die Titel in nordamerikanischen Ligen gewonnen haben. Von Marco Reus mit Los Angeles Galaxy in der Major League Soccer, über Leonie Fiebich und Nyara Sabally (New York Liberty/WNBA) bis hin zu Nico Sturm (Florida Panthers/NHL) und Isaiah Hartenstein (Oklahoma City Thunder/NBA). Wie groß sind die Chancen, dass Max Kepler diese Serie ausbaut?
Kepler: Leider kann ich nicht in die Zukunft gucken, aber das wäre auf jeden Fall ein Traum. Als Berliner das zu erreichen, würde mich sehr stolz machen.
SPORT1: Haben Sie Kontakt zu anderen deutschen Profis, die in Nordamerika spielen?
Kepler: Nein, leider nicht.
SPORT1: Wie sehr verfolgen Sie die Landsleute hier?
Kepler: Ich verfolge in der NBA die Wagner-Brüder, weil sie auch Berliner sind. Aber ansonsten verfolge ich keinen.
Kepler will in Saisonpausen mehr Baseball-Camps in Deutschland machen
SPORT1: Was muss passieren, damit nach Ihnen noch andere Deutsche in der MLB spielen?
Kepler: Es fängt mit den Kindern an, deren Interesse an Baseball größer sein muss als an Fußball, Tennis oder Eishockey. Leider ist Baseball Amerikas Sport und in Deutschland ist es Fußball. Und deswegen schauen die Kinder direkt immer zum Fußball. Bei mir war es immer was Lustiges, wenn ich als Kind gesagt habe, ‘ich gehe jetzt zum Baseball-Training.’ Dann haben mich immer alle lustig angeschaut. Man muss schon ein bisschen einen anderen Weg gehen, um diesen Sport wirklich weiterzubringen.
SPORT1: Was können Sie persönlich dazu beitragen?
Kepler: Ich könnte in den Saisonpausen mehr Baseball-Camps in Deutschland machen. Und ich fände es cool, wenn wir vielleicht in der Zukunft ein Spiel wie die London-Series (die MLB richtete 2019 erstmals zwei Spiele in London aus und setzte sie nach Unterbrechung wegen Covid ab 2023 fort/Anm. d. Red.) in Deutschland austragen könnten. In Regensburg haben wir ein schönes Stadion.
SPORT1: Nennen Sie uns mal bitte drei Gründe, warum sich deutsche Sportfans künftig mehr mit Baseball beschäftigen sollten?
Kepler: Es ist eine wunderschöne Sportart. Wenn man es zum ersten Mal sieht, versteht man wahrscheinlich nicht so viel. Aber wenn man sich hinsetzt und versucht, die Regeln zu lernen und all das, was dazu gehört, was diesen Sport so interessant und komplex macht - ich glaube, es gibt keine andere Sportart auf der Welt, die man mit Baseball vergleichen kann. Du musst werfen, fangen und rennen können. Hinzu kommt das Mindset, also die geistige Haltung. Viele sagen, dass 90 Prozent des Spiels mental sind. Auch das ist schwer für die Zuschauer zu verstehen. Meine erste Liebe war Fußball. Aber im Vergleich zum Baseball ist Fußball sehr simpel und einfach zu verstehen. Die Leute, die Baseball richtig verstehen wollen, müssen sich dafür Zeit nehmen. Und ich glaube, deswegen kommen viele nicht so voran, weil es einfach ein bisschen länger dauert. Aber die, die Baseball verstehen - also es ist einfach eine Top-Sportart.