Lenny Krieg hat sich im American Football hochgearbeitet. Erst spielte er für die Berlin Adler in der German Football League, dann für Stuttgart Surge in der European League of Football, ehe er im März 2025 in der NFL von den Atlanta Falcons unter Vertrag genommen wurde.
Ein Berliner jagt den NFL-Traum: "Jeder hat seine eigene Reise"
Im Training brach er schon einen Rekord
In Atlanta gehört der Kicker dem Practice Squad an. Das heißt: Er trainiert mit den Profis, kommt aber erst zum Einsatz, wenn er eines Tages in den aktiven Kader befördert wird. Dies war bislang nicht der Fall. Dennoch wird er vor Ort sein, wenn seine Falcons am Sonntag im Berliner Olympiastadion auf die Indianapolis Colts treffen.
Zu Besuch in der alten Heimat
Im Interview mit SPORT1 spricht der 23-Jährige nicht nur über dieses Spiel, sondern auch über das Leben als Kicker. Dabei verrät er, dass er im Training bereits einen NFL-Rekord gebrochen hat.
SPORT1: Herr Krieg, Sie sind in Berlin aufgewachsen und haben früher für die Berlin Adler gespielt. Was bedeutet Ihnen das NFL-Spiel Ihrer Atlanta Falcons im Olympiastadion?
Lenny Krieg: Natürlich ist es für mich etwas Besonderes, in meiner Heimatstadt zu spielen, viele Leute wiederzusehen, im Olympiastadion zu sein, wo ich früher schon mal gespielt und Spiele gesehen habe. Das bedeutet mir eine Menge. Ich finde es großartig, dass die NFL sich entschieden hat, das Spiel und die Liga nach Deutschland zu bringen. Den Leuten dort Football näherzubringen, neue Fans zu gewinnen, alten Fans etwas zurückzugeben – darauf freue ich mich riesig.
SPORT1: Wann genau haben Sie im Olympiastadion gespielt?
Krieg: Das ist schon eine Weile her. Das war bei einem Fußball-Jugendturnier vor etwa 14 Jahren.
„Natürlich will man jedes Spiel gewinnen“
SPORT1: Wie sieht für Sie als Spieler des Practice Squads ein Spieltag aus?
Krieg: Das kommt immer auf die Situation an. In der Regel reisen aus dem Practice Squad nur einige Spieler mit zu Auswärtsspielen, um Positionen aufzufüllen, falls jemand angeschlagen ist oder noch jemand hochgezogen werden kann.
SPORT1: Aber Sie wissen, dass Sie in Berlin vor Ort sein werden?
Krieg: Ja, ich werde auf jeden Fall dabei sein.
SPORT1: Die Saison der Falcons verläuft bisher etwas wechselhaft. Sie stehen bei einer Bilanz von drei Siegen und fünf Niederlagen. Wie würden Sie die bisherige Spielzeit bewerten?
Krieg: Ich würde sagen, wir haben in vielen Spielen gezeigt, welches Potenzial wir haben – auf beiden Seiten des Balls. In einigen Partien konnten wir, wenn es darauf ankam, die Spiele nicht finishen. Wir sind eine junge Mannschaft, die Saison ist noch lang, deshalb sieht alles noch ganz gut aus.
SPORT1: Mit welchem Ziel sind die Falcons in die Saison gestartet?
Krieg: Natürlich will man jedes Spiel gewinnen. Dieses Mindset behalten wir auch bei. Es bringt nichts, schon auf Woche 17, 18 oder darüber hinauszuschauen. Wir bereiten uns jede Woche bestmöglich auf den Gegner vor und versuchen, das Spiel zu gewinnen – so oft wie möglich.
Cousins und Penix Jr. im Team beliebt
SPORT1: Mit dem jungen Michael Penix Jr. und dem erfahrenen Kirk Cousins gibt es im Kader der Falcons zwei etablierte Quarterbacks, wobei Penix aktuell die Nummer 1 ist. Wie nehmen Sie die beiden wahr?
Krieg: Beide sind sehr zugängliche Typen, mit denen man gut reden kann. Sie sind echte Leader, einfach Top-Typen. Die ganze Mannschaft mag sie.
SPORT1: Haben Sie zu einem der beiden einen engeren Draht?
Krieg: Ich verstehe mich mit beiden gut. Ich sitze in vielen Meetings neben Kirk, da quatschen wir immer mal wieder. Mit Michael rede ich oft in der Cafeteria oder wenn man sich auf dem Gang trifft – man kann mit beiden über alles sprechen. Er freut sich übrigens auch sehr auf das Spiel in Berlin.
SPORT1: Worüber sprechen Sie mit Kirk so? Gibt er Ihnen Tipps?
Krieg: Meistens geht es gar nicht um Football, sondern um private Themen – Familie, Reisen, das Leben außerhalb des Sports.
„Er hilft dem Team, wo immer er kann“
SPORT1: Wie geht er Ihrer Meinung nach damit um, dass er als Top-Quarterback mit einem hochdotierten Vertrag nach Atlanta kam und jetzt nur noch Backup ist?
Krieg: Das ist schwer für mich zu beurteilen. Ich kann nicht für ihn sprechen, aber er ist definitiv sehr professionell und hilft dem Team, wo immer er kann.
SPORT1: Früh in der Saison gab es bei den Falcons den ersten Kicker-Wechsel, als Younghoe Koo von John Parker Romo ersetzt wurde. Nun ist dieser entlassen worden, dafür wurde der erfahrene Zane Gonzalez verpflichtet. Wie groß war Ihre Hoffnung, dass Sie die große Chance bekommen würden?
Krieg: Ehrlich gesagt, moderat. Es wurde im Vorfeld gut mit mir kommuniziert, wie der Plan aussieht. Daher war es keine negative Überraschung, dass ein erfahrener Kicker geholt wurde. Trotzdem will natürlich jeder spielen – aber jeder hat seine eigene Reise, und man muss einfach weiterarbeiten.
SPORT1: Wie nehmen Sie die Situation der Kicker in der NFL wahr – oft gilt ja das Prinzip „hire and fire“?
Krieg: Das stimmt, besonders in der frühen Karrierephase. Man muss konstant gute Leistungen bringen, um Vertrauen aufzubauen. Fehler passieren, aber die Position ist eben mental herausfordernd – man verliert schnell seinen Job, kann ihn aber auch genauso schnell woanders gewinnen. Das gehört dazu.
„Es geht darum, so viel wie möglich zu lernen“
SPORT1: Wie genau planen die Falcons mit Ihnen? Soll die Spielzeit 2025 für Sie ein Jahr zum Lernen sein?
Krieg: Ja, genau. Ich bin noch sehr jung und im Vergleich zu anderen Kickern unerfahren. Es geht darum, so viel wie möglich zu lernen – von erfahrenen Spielern und Trainern. Ziel ist es, bestens vorbereitet zu sein, wenn die Gelegenheit kommt.
SPORT1: Wie nehmen Sie Ihren kommenden Gegner, die Indianapolis Colts mit einer Bilanz von sieben Siegen und zwei Niederlagen, wahr?
Krieg: Viele Experten hätten wohl nicht mit ihrer Stärke gerechnet. Sie spielen eine sehr gute Saison. Ich selbst verfolge das aber nur am Rande, außer dem, was man im Internet oder in Highlights sieht.
SPORT1: Wie sieht ein Trainingstag für Sie als Kicker aus?
Krieg: Im Schnitt beginnt der Tag gegen sieben Uhr und dauert bis etwa 16 oder 17 Uhr. Es gibt viele Meetings – Positions-, Offense-, Defense-, Special-Teams- oder Teammeetings. Dann geht’s in den Kraftraum- und zum Feldtraining, dazwischen essen und Behandlungen. Gut zwei Drittel des Tages bestehen aus Meetings, das übrige Drittel aus physischem Training.
SPORT1: Aktuell sind Sie drei Kicker bei den Falcons. Neben Gonzalez stehen mit Ihnen und Ben Sauls zwei Kicker im Practice Squad. Wie ist das Miteinander?
Krieg: Das Verhältnis ist sehr gut. Wir beide im Practice Squad sind Rookies, also noch ganz am Anfang. Die Stimmung ist positiv, jeder wünscht dem anderen Erfolg. Wir sind befreundet und pushen uns gegenseitig – das hilft allen, besser zu werden.
NFL-Rekord im Training
SPORT1: Was war das weiteste Field Goal, das Sie je verwandelt haben?
Krieg: Im Training 74 Yards.
SPORT1: In der NFL liegt der Rekord bei 68 Yards – das ist also noch ein Stück weiter. Aber letztendlich geht es eher um die Konstanz, oder?
Krieg: Genau. Solche Kicks sind cool, aber in einem Spiel kaum realistisch. Es geht darum, zwischen 30 und 60 Yards konstant abzuliefern.
„Wir übernehmen den Fehler“
SPORT1: Wenn ein Kick daneben geht – liegt die Verantwortung immer beim Kicker oder auch am Holder und am Snap?
Krieg: Es hängt von der Situation ab, aber in der Regel sind Holder und Long Snapper so zuverlässig, dass Abweichungen minimal sind. Deshalb liegt die Verantwortung meist beim Kicker, und so sehe ich das auch: Wir übernehmen den Fehler, wenn etwas schiefgeht.
SPORT1: Wie begann Ihr Interesse am Football?
Krieg: Ich habe bis 18 Fußball gespielt und dann während der Corona-Zeit aufgehört. Mein älterer Bruder, der bei den Berlin Adlern Coach war und vorher selbst spielte, hat mich zum Football gebracht. Ich habe direkt als Kicker angefangen, Spaß daran gefunden – und bin dabeigeblieben.
Von der ELF in die NFL
SPORT1: Wie ging es von dort in Richtung NFL und zu den Falcons?
Krieg: Nach meiner Saison 2024 wurde ich vom NFL International Player Pathway Program eingeladen – eine Art Tryout für Kicker aus aller Welt. Daraus wurden vier Spieler ausgewählt, die acht Wochen in Florida trainieren durften. Ich zeigte gute Leistungen dort und beim Combine, woraufhin Teams und Agenten auf mich aufmerksam wurden. Einen Tag nach meinem Pro Day (Probetraining vor Scouts, Anm.d.Red.) war ich schon in Atlanta und habe meinen Vertrag unterschrieben.
SPORT1: Die European League of Football, Ihr früheres Sprungbrett, steht derzeit vor schwierigen Zeiten. Wie nehmen Sie das wahr?
Krieg: Ich bekomme das nur teilweise mit, spreche aber noch mit einigen ehemaligen Mitspielern. Es scheint eine Umbruchsstimmung zu geben – oder eine Abbruchstimmung, schwer zu sagen. Ich hoffe sehr, dass möglichst viele Teams weitermachen, egal ob in der ELF oder der neuen EFA. Die Leute dort lieben Football – und es wäre schlimm, wenn externe Faktoren ihnen das nehmen würden.
SPORT1: War die ELF für Sie persönlich ein entscheidendes Sprungbrett?
Krieg: Vermutlich schon. Andererseits: Wenn es die ELF nicht gegeben hätte, wären wahrscheinlich mehr Augen auf der GFL gewesen. Aber in meinem Fall hat die ELF enorm geholfen, auch wegen der medialen Aufmerksamkeit.