Der zweite Platz im Teamspringen von Planica war der starke Abschluss einer grandiosen Karriere von Markus Eisenbichler, die Höhen, Tiefen und vor allem jede Menge Emotionen mit sich brachte.
Eisenbichler: „Ich war schockiert“
Im Interview mit SPORT1 blickt Eisenbichler auf die Highlights seiner Laufbahn zurück und beschreibt seine Gefühlswelt nach dem letzten großen Flug. Der erfolgreichste deutsche Skispringer der WM-Geschichte, der am 3. April seinen 34. Geburtstag feiert, freut sich auf einen neuen Lebensabschnitt, bringt jedoch auch zum Ausdruck, was ihm im deutschen Skispringen Sorgen bereitet und wie ihn der Anzug-Skandal der Norweger geschockt hat. In diesem Zusammenhang knöpft er sich eine Legende vor.
SPORT1: Herr Eisenbichler, am vergangenen Wochenende endete ihre lange Karriere. Wie sehr hat Sie der Abschied emotional mitgenommen?
Markus Eisenbichler: Sehr. Am Freitag hat es angefangen, da habe ich gemerkt, dass es doch ein bisschen emotionaler wird, als ich es mir gedacht habe. Aber ich habe darauf geachtet, dass der Fokus auf dem Skifliegen bleibt. Am Samstag, mit der ganzen Familie und den Freunden, da war es schon sehr emotional. Da habe ich die ein oder andere Träne nicht zurückhalten können.
SPORT1: In Ihrem letzten Wettkampf wurden Sie mit dem Team Zweiter. Wie wichtig war Ihnen dieses Ergebnis?
Eisenbichler: Das war sehr, sehr wichtig. Das habe ich meinen Teamkollegen am Freitag auch gesagt, dass ich nochmal auf das Podest springen möchte. Wir sind alle Sportler. Die anderen Jungs haben gleich gesagt, dass es ihnen genauso geht. Daher lag der Fokus auf dem Skifliegen, darauf, dass wir es ordentlich machen. Es war wichtig, erst den Job zu machen, dann können die Emotionen kommen.
Eisenbichler: „Ein paar Bier mehr, als ich normalerweise vertrage“
SPORT1: Das Wochenende war sehr emotional. Bei Ihnen blieb kein Auge trocken, bei vielen anderen aber auch nicht. Sven Hannawald hat beispielsweise Tränen vergossen. Was bedeutet es Ihnen, dass Ihr Abschied so viele Menschen bewegt?
Eisenbichler: Es hat mir schon etwas bedeutet, dass ich einen bleibenden Eindruck bei manchen Leuten hinterlassen habe. Ich habe einfach den Sport gerne gemacht. Mir war immer nur wichtig, was meine Familie und meine Freunde über mich denken. Was in den Medien über mich geschrieben wurde, habe ich nie zu sehr an mich herangelassen – ich konnte gut damit umgehen. Aber natürlich freut es mich, wenn so viele Leute Anteilnahme zeigen und mich emotional verabschieden.
SPORT1: Die Party danach soll lange gedauert haben. Können Sie sich noch an alles erinnern?
Eisenbichler: Es hat nicht ganz so lange gedauert, wie ich gedacht hatte. Ich war irgendwann einfach platt. Wir waren abends noch Essen und dann habe ich gemerkt, dass der ganze Druck abfällt. Ich wollte natürlich auch noch das Skifliegen am nächsten Tag anschauen. Und wenn ich dann bis früh um 5 Uhr weg bin, dann wäre ich nicht in der Lage, aufzustehen. Ich bin schon zwischen null und ein Uhr im Hotelzimmer gewesen, habe schön geschlummert und bin um 6.15 Uhr wieder aufgestanden.
SPORT1: Das ist sehr früh...
Eisenbichler: Der Kopf hat schon ein wenig gebrummt, das war klar. Es waren doch ein paar Bier mehr, als ich normalerweise vertrage. Aber ich habe mir gesagt, dass es egal ist. Dann muss ich halt mal ein bisschen leiden.
Eisenbichler: „Ich bin fein mit meinem Rücktritt“
SPORT1: Haben Sie schon realisiert, dass Ihre aktive Karriere jetzt vorbei ist? Oder dauert es, bis es ankommt?
Eisenbichler: Ich glaube, das dauert jetzt noch ein bisschen. Ich bin am Sonntag heimgekommen und am Montag direkt wieder zur Polizei gefahren und habe für mich persönlich trainiert. Ich musste zudem noch einige Sachen erledigen. Ich konnte noch nicht einmal etwas vom Wochenende anschauen, weil die Tage so voll waren. Wenn ich dann in Urlaub bin, dann habe ich beim gemütlichen Langlaufen in Norwegen Zeit, mir Gedanken darüber zu machen, was war und was kommt.
SPORT1: Was werden Sie in Ihrem Skisprung-Ruhestand am meisten vermissen?
Eisenbichler: Das Skispringen an sich werde ich vermissen, das Gefühl, in der Luft zu sein, die Geschwindigkeit zu spüren. Außerdem die Emotionen, die bei einem guten wie bei einem schlechten Sprung aus mir rauskommen. Und natürlich die Teamkollegen. Aber ich bin fein mit meinem Rücktritt. Ich werde sicher ein, zwei Wochen brauchen, um richtig anzukommen - aber wenn ich meinen neuen Alltag gefunden habe, weiß ich, dass mich das auch glücklich machen wird.
SPORT1: In einem kicker-Interview haben Sie gesagt, es sei eine „Befreiung“ gewesen, nachdem Sie ihren Rücktritt verkündet hatten. Fühlen Sie sich schon „freier“?
Eisenbichler: Ja! Ich muss ganz ehrlich sagen, ja. Wenn ich jetzt zum Training gehe, dann kann ich trainieren, was ich mag. Ich kann Langlaufen gehen, Bergtouren, Skitouren. Ich kann Fußball spielen. Ich kann einfach hingehen und brauche kein schlechtes Gewissen zu haben, ob es sich auf meine sportliche Karriere auswirkt, ob ich mich überlaste oder irgendwie angeschlagen bin. Ich freue mich, dass ich in meiner Freizeit wirklich das machen kann, was ich will und worauf ich Lust habe.
„TV-Experte kann ich mir natürlich auch gut vorstellen“
SPORT1: Sie haben bereits verlauten lassen, dass sie dem Skispringen erhalten bleiben und Ihre Erfahrungen an junge Athleten weitergeben wollen. Schmieden Sie schon konkrete Pläne? Oder genießen Sie erst einmal ein Leben außerhalb des Leistungssports und lassen sich treiben?
Eisenbichler: Treiben lassen möchte ich mich auf keinen Fall, dafür bin ich nicht der Typ. Nach meinen Urlaub werde ich bei der Bundespolizei arbeiten. Aber natürlich kann ich es mir vorstellen, meine Erfahrungen weiterzugeben. Aber ich bin mir auch sicher, dass ich alles jetzt erst einmal einordnen muss. Ich muss vom Skispringen Abstand gewinnen, damit ich den Kopf habe, um den Trainerjob richtig anzugehen. Man darf als Trainer nicht zu emotional sein – und auch nicht zu kritisch. Und ich weiß, wie ich im Training bin. Und das erwarte ich von den Sportlern aktuell auch. Und damit würde ich den Sportlern keinen Gefallen tun, und mir auch nicht. Da würde es sicher Konflikte eben und das ist nicht Sinn der Sache. Sinn der Sache ist es, den Athleten weiterzubringen und zu unterstützen, das ist mein Ziel.
SPORT1: Ist eine Tätigkeit als Trainer Ihr primäres Ziel? Oder könnten Sie sich beispielsweise auch vorstellen, als TV-Experte zu arbeiten?
Eisenbichler: TV-Experte kann ich mir natürlich auch gut vorstellen, das ist ein sehr spannendes Feld. Aber dafür müsste ich mein Hochdeutsch noch ein bisschen verbessern und das fällt mir sehr schwer. Aber ich glaube, bei den Interviews hat man mich bisher auch gut verstanden. Ich bin generell für sehr vieles offen. Man kann immer etwas ausprobieren und wenn es einem nicht gefällt, dann war es einen Versuch wert. Das gilt für das Trainergeschäft ebenfalls. Wenn etwas nichts für mich ist, dann bin ich sehr selbstreflektiert und gestehe es mir ein. Im Vordergrund steht, dass ich zufrieden und glücklich bin.
SPORT1: Wie sehen Sie das deutsche Skispringen für die Zukunft aufgestellt?
Eisenbichler: Es ist nicht einfach. Stephan Leyhe und ich sind weg. Natürlich haben wir Wellinger, Paschke, Geiger, Raimund, die in der Weltspitze sind. Im Jugendbereich haben wir aber eine große Lücke. Das habe ich auch gemerkt, als ich im Continental Cup mitgesprungen bin. Dass ich mit sehr wenigen Einsätzen in der Gesamtwertung der Beste bin, das macht mir natürlich Sorgen. Aber ich bin mir sicher, dass der DSV eine Lösung finden wird. Vielleicht kann ich ja irgendwann auch dabei helfen, dass wir wieder gute Athleten haben.
Trainer? „Mit der aktuellen Konstellation könnte ich es mir nicht vorstellen“
SPORT1: Wenn Sie eine Trainertätigkeit aufnehmen, wären Sie eher für die Nachwuchsspringer oder für den A-Kader prädestiniert?
Eisenbichler: Ich bin ganz ehrlich. Mit der aktuellen Konstellation, also den Athleten, die aktuell ganz oben sind, könnte ich es mir nicht vorstellen. Ich bin bei ihnen zu nahe dran, kenne sie zu lange. Sie kennen mich genauso lange, das wird schwierig. Da müsste ich bereit sein, aber es gibt auch den Gegenpart der Athleten. Die müssen es auch wollen und müssen bereit dafür sein, sich von mir Anweisungen und Tipps geben zu lassen. Ich habe es bei mir gemerkt, bei anderen Trainern, die früher mit mir gesprungen sind. Bei denen habe ich Zeit gebraucht, bis ich die als Trainer ernst nehmen konnte. Ich würde gerne zunächst im Jugendbereich arbeiten und mir eine Basis schaffen. In diesem Bereich ist es einfach spannend, man kann die Springer noch formen. Sie schauen auch mit anderen Augen auf mich, weil ich eben ein Athlet bin, der im Weltcup gesprungen ist. Mit den aktuellen Top-Athleten bin ich durch die Weltgeschichte gereist und die kennen meine Fehler und Stärken und wenn ich ihnen Tipps gebe, bei denen sie wissen, dass ich die selbst nicht gut umgesetzt habe, dann wird es schwierig.
SPORT1: Wenn Sie auf Ihre Karriere zurückblicken, was war Ihr größtes Highlight?
Eisenbichler: Es ist schwierig, sich für etwas zu entscheiden. Die Weltmeisterschaft in Seefeld war bombastisch, der erste Weltcupsieg in Planica, natürlich auch die Olympiamedaille 2022. Aber eigentlich meine ganze Karriere. Als ich als kleiner Junge mit dem Skispringen angefangen habe, hätte ich mir nie erträumt, dass ich mal so gut werden kann. Ich habe den Sport eigentlich nur gemacht, weil er mir so viel Spaß gemacht hat. Ich habe nie so weit gedacht, dass ich mal Weltmeister werde oder Weltcupsiege feiern kann. Ich bin schon ein bisschen stolz auf meine ganze Karriere – mit allen Höhen und Tiefen.
SPORT1: Philipp Raimund ist beim Skifliegen in Planica nicht an den Start gegangen - Stichwort Höhenangst. Kennen Sie diese Angst?
Eisenbichler: Das Gefühl Angst kenne ich natürlich, speziell beim Skifliegen in den vergangenen Jahren. Ich hatte immer Respekt vor jeder Schanze, weil mir bewusst war, dass es eine gefährliche Sportart ist. Wenn man einen Fehler macht, dann kann man sich etwas brechen, sich etwas reißen und sich schwer verletzen. Aber Höhenangst habe ich nicht. Ich gehe Klettern, Bergsteigen - wenn ich da Höhenangst hätte, könnte ich die Sportarten nicht machen. Ich hatte immer Respekt und Ehrfurcht, aber panische Angst hatte ich nie.
Eisenbichler: „Ich war schockiert und sauer”
SPORT1: Ein prägendes Thema der vergangenen Wochen war der Anzug-Skandal rund um die norwegischen Skispringer. Wie haben Sie die Geschehnisse erlebt?
Eisenbichler: Dieser ganze Skandal ist wirklich ein Hammer. Ich war schockiert und sauer. In einer ruhigen Minute habe ich mir dann aber überlegt, welche Intentionen die Norweger hatten, warum sie es gemacht haben. Im Endeffekt wollten sie bei ihrer Heim-WM einfach Top-Leistungen bringen, sie wollten Medaillen gewinnen. Es ist natürlich ein Prestige-Event, wenn man eine Heim-WM hat. Aus sportlicher Sicht kann ich den Wunsch, bei der Heim-WM Bestleistungen zu zeigen, bis zu einem gewissen Grad nachvollziehen. Die Art und Weise, wie sie es gemacht haben, ist eine absolute Katastrophe. Im Nachhinein mussten sie die Konsequenzen tragen und wurden bestraft. Man muss sich eingestehen, dass Fehler menschlich sind. Ich habe ihnen verziehen, für mich ist die Sache gegessen. Im FIS-Gremium wird der Fall aufgearbeitet. Warum aber melden sich ehemalige Sportler, die Dinge zugeben, die mit dem aktuellen Betrug nichts zu tun haben?
SPORT1: Sie spielen sicherlich auf Janne Ahonen an, der kürzlich gestand, zu seiner aktiven Zeit ebenfalls betrogen zu haben. Wäre Ihnen lieber, er hätte einfach geschwiegen?
Eisenbichler: Ja. Ich liebe diesen Sport und habe ihn wirklich sehr gerne gemacht. Janne Ahonen hat ihn auch geliebt und gerne gemacht. Warum muss man da nochmal nachtreten und den Sport in den Dreck ziehen? Jeder Athlet ist schon einmal an die Grenze gegangen. Aber an die Grenze des Erlaubten, also innerhalb des Regelwerkes. Das weiß auch jeder Athlet und alle sind fein damit.
SPORT1: Hat das Skispringen nach dem Skandal ein Glaubwürdigkeitsproblem?
Eisenbichler: Das glaube ich nicht. In anderen Sportarten wird auch getrickst, zum Beispiel bei der Formel 1. Dort gehört es dazu, dass der ein oder andere Mal weniger im Tank hatte oder einen anderen Kotflügel. Ab und zu kriege ich mit, dass jemand disqualifiziert wurde. Beim Skispringen ist es anders, da hat man einen Körper, der sich von Tag zu Tag verändert. Der Körper ist kein starres Ding, genauso wie der Anzug. Der Anzug ist aus Schaumstoff, ist dehnfähig und verändert sich. Wenn man einen Anzug hat, der mal ein oder zwei Zentimeter zu groß ist, deswegen springt man nicht weiter. Natürlich geht man an die Grenze, aber im Endeffekt steht das Skispringen im Vordergrund. Der, der am besten springt, der gewinnt in der Regel auch. Dass die Norweger ein starres Band in den Anzug eingenäht haben, das war aber Manipulation, weil die Anzüge wirklich aufgeschnitten wurden.
SPORT1: Haben die Regeln rund um die Anzüge eine zu große Grauzone?
Eisenbichler: Ein oder zwei Zentimeter, das macht nicht so viel aus. Aber solche Manipulationen verändern den ganzen Sprunganzug. Es gibt eine Regel, die klar beschreibt, dass man das nicht machen darf. Generell gesprochen: die Form, die wir hatten, mit Abtasten und Abmessen durch einen Kontrolleur, war für mich ok. Wir hatten ein gutes Kontrollsystem, aber mit einem derartigen Betrug rechnet niemand. Ich wäre auf eine solche Idee gar nicht gekommen.
„An meinem Geburtstag kriegt meine Mama einen Kuss“
SPORT1: Sie sagen also, innerhalb einer Toleranz von ein bis zwei Zentimetern sind Änderungen und Anpassungen am Anzug ok, solange es nicht betrügerisch wird wie im Falle der Norweger?
Eisenbichler: Ja, für mich wäre das in Ordnung, weil es dehnfähiges Material ist und der Körper auch nicht immer gleich. Es kann schnell gehen, dass von einem auf den anderen Tag der Anzug einen Zentimeter zu groß ist. Dann bespricht man das mit dem Kontrolleur und näht es für den nächsten Tag oder zwischen den Durchgängen ab.
SPORT1: Sie haben am heutigen 3. April Geburtstag. Wie feiern Sie diesen besonderen Tag?
Eisenbichler: Ich freue mich jedes Jahr auf die Jahresabschlussfeier der Bundespolizei, dort werden alle Sportler geehrt. Dieser Termin fällt dieses Jahr genau auf meinen Geburtstag. Ich bin aber sowieso eher der Typ, der seinen Geburtstag gerne gemütlich feiert, mit Freunden essen geht und sich unterhält. Wichtig ist für mich vor allem eines: an meinem Geburtstag kriegt meine Mama einen Kuss, denn sie hat mich zur Welt gebracht.