So etwas hatten selbst langjährige Begleiter der Biathlon-Szene noch nicht gesehen - und so wandte sich ARD-Kommentator Christian Dexne irritiert an Experte Arnd Peiffer: „Was hat er (Johannes Thingnes Bö) denn jetzt vor, was macht er?“ Doch auch der Ex-Biathlet war anfangs ratlos: „Ich weiß es auch nicht.“
Bö sorgt für Irritationen
Was war vorgefallen? Beim letzten Schießen im Einzel des Biathlon-Weltcups in Ruhpolding bot der fünfmalige Gesamtweltcup-Sieger Bö der vollen Haupttribüne zunächst eine große Show und lieferte eine Null-Fehler-Einlage in 20,6 Sekunden ab - aber was danach folgte, sorgte für große Verwunderung.
Bö in Ruhpolding kurz vor Rennabbruch
Nach der Schnellfeuereinlage winkte der Biathlon-Star erst einmal höflich den Zuschauern zu, was er sonst nur tut, wenn sein Sieg bereits feststeht. Davon konnte diesmal jedoch nicht die Rede sein, da Bö durch die vorherigen Schießeinlagen bereits fünf Strafminuten im Gepäck hatte.
Umso mehr erstaunte, dass er nicht beschleunigte, sondern im Spaziertempo und ohne in die Stöcke zu gehen an der rechten Seite austrudelte. Der Norweger schien offenbar keinen großen Sinn mehr darin zu sehen, das Rennen zu Ende zu bringen, da er kein Top-Ergebnis mehr erzielen konnte.
Ein Verhalten, das die ehemalige Gesamtweltcupsiegerin und heutige TV-Expertin Marte Olsbu Röiseland verwundert zurückließ. „Ich fand es etwas seltsam, dass er das Rennen nicht mehr so schnell wie möglich zu Ende bringen wollte. Ich weiß, er konnte nicht gewinnen oder ein gutes Ergebnis mehr erzielen, aber es geht um jeden Punkt“, sagte die Norwegerin bei SPORT1.
Konkurrent Jacquelin mit klarer Ansage
Dass sich Bö doch noch dazu entschied, das Rennen zu beenden, war ausgerechnet einem seiner größten Konkurrenten zu verdanken. Der Franzose Émilien Jacquelin animierte Bö wort- und gestenreich dazu, das Rennen zu beenden und machte ihm dabei eine klare Ansage: „Im Gelben Trikot darf man nicht aufgeben!“
Ähnlich sah es Jacquelins Landsmann Eric Perrot beim norwegischen Sender NRK: „Wenn Johannes keine Lust mehr hat, kann er machen, was er will, aber wenn man das Gelbe Trikot hat, ist es irgendwie angebracht, es zu probieren. Ich nehme es Jacquelin nicht übel, dass er ihm Druck gemacht hat.“
Und auch Peiffer teilte in der ARD die Meinung der Franzosen: „Man sollte die Rennen zu Ende laufen. Das hat mit Respekt den anderen Athleten gegenüber zu tun. Ich finde es gut, dass er sich überreden hat lassen.“
Bö ließ sich also erbarmen, doch viel Mühe gab er sich anschließend nicht mehr – und so hatten die Zuschauer am Streckenrand jede Menge Zeit, ihn zu bejubeln: Mit knapp zwei Minuten Rückstand lief der 31-Jährige die langsamste letzte Runde aller 103 Athleten. Auch in der Runde vor dem letzten Schießen hatte er es bereits entspannt angehen lassen.
Biathlon-Star Röiseland äußert Unverständnis
Röiseland erklärte, dass ihr Landmann ihr gesagt habe, seine Form sei nicht gut gewesen „und dass es schwer auf der Strecke war“. Verständnis für sein Verhalten erntete Bö von der mehrmaligen Weltmeisterin dafür aber nicht: „Dass das Schießen nicht gut genug war, wie wir alle gesehen haben. Aber trotzdem: Er hat das Gelbe Trikot und das ist etwas wert.“ Sie selbst „habe nie darüber nachgedacht“, ein Rennen frühzeitig zu beenden: „Wenn du nicht für ein gutes Ergebnis kämpfst, kannst du das Rennen trotzdem zum Training nutzen und dazu, mehr Erfahrung für das nächste Mal zu haben.“
Die 34-Jährige hatte zuvor bereits im Rahmen der TV-Übertragung des NRK große Sorgen aufgrund der Schieß-Performance ihres Landmannes. „Es war ein schockierender Anblick. Die ersten drei Schüsse waren beunruhigend. Ich mache mir ein wenig Sorgen und hoffe, dass er eine Lösung findet.“
Nur bei Bö war von Sorgenfalten nach der schlechten Platzierung wenig zu sehen. Zwar vermied er es nach Möglichkeit, mit internationalen Medien zu sprechen, scherzte kurz nach dem Rennen in der Cooldown-Zone allerdings schon wieder mit seinen Teamkollegen.
Bö: Form ist „eine Katastrophe“
Im norwegischen TV gab er jedoch zu, dass ihm nach seiner Krankheit alles noch ein wenig schwerer fällt: „Was die Form angeht, ist es eine Katastrophe. Ich bin unglaublich müde auf der Strecke und das Schießen ist in gewisser Weise besonders schwierig. Es ist wirklich schlecht. Das Podium in Oberhof täuscht ein bisschen darüber hinweg.“
Von den Problemen profitiert sein Verfolger Sturla Holm Laegreid, dessen Rückstand in der Gesamtwertung auf 48 Punkte geschrumpft ist. Aktuell erscheint es fraglich, ob Bö nach diesem Auftritt am Freitag in der Staffel an den Start gehen wird. Doch spätestens im Massenstart am Sonntag gibt es die nächste Chance für den Star-Athleten, seine Weltklasse unter Beweis zu stellen.
Noch ist genug Zeit bis zur WM in Lenzerheide, die am 12. Februar beginnt. Doch so langsam sollte die Formkurve wieder nach oben zeigen, sonst wird auch Bö bald nicht mehr zu Scherzen nach dem Rennen aufgelegt sein.