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„Fast wie eine Diktatur!“ Abgesägter Biathlon-Star rechnet ab!

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„Fast wie eine Diktatur“

Der Norweger Filip Fjeld Andersen hat Ende April im Alter von nur 25 Jahren seine Biathlon-Karriere beendet. Grund war die fehlende sportliche Perspektive - aber auch der Umgang seines Verbandes mit den Athletinnen und Athleten. Im SPORT1-Interview übt er scharfe Kritik.
Filip Fjeld Andersen galt als große Biathlon-Hoffnung
Filip Fjeld Andersen galt als große Biathlon-Hoffnung
© IMAGO/SNA
Der Norweger Filip Fjeld Andersen hat Ende April im Alter von nur 25 Jahren seine Biathlon-Karriere beendet. Grund war die fehlende sportliche Perspektive - aber auch der Umgang seines Verbandes mit den Athletinnen und Athleten. Im SPORT1-Interview übt er scharfe Kritik.

Es ist noch nicht lange her, da mischte er die Biathlon-Welt auf und sein Name war in aller Munde: Filip Fjeld Andersen. In der Saison 2020/21 gewann er den zweitklassigen IBU-Cup, stieg im folgenden Winter in den Weltcup auf und stand in seinem ersten Jahr gleich zweimal auf dem Podest. Sein Weg schien vorgezeichnet, das einst hochgejubelte Talent sollte der nächste starke Norweger werden, der ganz oben ankommt und Maßstäbe setzt.

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Doch es kam ganz anders. Den anfänglichen Höhen folgten viele Tiefen. Formkrisen, Unsicherheiten am Schießstand und vor allem gesundheitliche Probleme bremsten Andersens Aufstieg abrupt - dann griff der norwegische Verband durch. Weil die Konkurrenz im eigenen Team groß war, flog er Anfang 2023 zunächst aus der Weltcup-Mannschaft und zu Beginn des folgenden Winters sogar aus dem IBU-Cup-Team. Jäh landete der heute 25-Jährige auf dem Boden der Tatsachen.

Im Winter 2024/25 bestritt er letztlich keinen einzigen internationalen Wettkampf und schaffte es auch im nationalen Norwegen-Cup nicht über das Mittelfeld hinaus. Die Abwärtsspirale war nicht mehr aufzuhalten, und so endete im April viel früher als erwartet, was vor einigen Jahren so vielversprechend begann: Andersen zog die Konsequenz aus der fehlenden Perspektive und setzte einen Schlussstrich unter seine Karriere. Dabei lässt er kein gutes Haar am norwegischen Verband - denn seine Situation ist bei weitem kein Einzelfall, wie er im SPORT1-Interview schildert.

SPORT1: Filip Fjeld Andersen, Sie haben Ihre Biathlon-Karriere mit nur 25 Jahren beendet. Warum?

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Andersen: Es war keine leichte Entscheidung. Ich hatte einige Höhen in meiner Karriere, aber auch viele Tiefen - und gerade die letzten eineinhalb Jahre waren brutal hart. Ich bin im April 2024 aus dem norwegischen Elitekader geflogen, der perspektivisch auf die Olympischen Winterspiele im nächsten Jahr vorbereitet wird. Das kostete mich viel. Nicht nur Geld, auch mentale Energie. Davon habe ich mich nie mehr erholt. Sport kann echt schlimm sein, wenn man nicht das erreicht, was man sich erhofft und erarbeitet hat. Letztlich hatte ich irgendwann nicht mehr die gleiche Motivation wie früher, um weiter zu trainieren.

SPORT1: Ihr letztes internationales Rennen liefen Sie Anfang Dezember 2023 beim Saisonauftakt des IBU-Cup, eine halbe Ewigkeit ist das her. Im vergangenen Winter bestritten Sie gar keine Wettkämpfe, im Winter davor nur zwei. Warum haben Sie so lange gefehlt?

Andersen: In Norwegen ist das Niveau unglaublich hoch. Dort tummeln sich so viele starke Athleten, die um die wenigen Startplätze kämpfen - da war einfach kein Platz mehr für mich. Angefangen hat alles vor zwei Saisons mit einer harten Entscheidung, die ich überhaupt nicht nachvollziehen konnte. Ich wurde nach nur zwei Rennen ohne Vorwarnung aus dem IBU-Cup-Aufgebot gestrichen, obwohl meine Ergebnisse mit den Plätzen 18 und 10 nicht mal so richtig schlecht waren. Danach wurde ich im Dezember krank und erst im März wieder komplett fit. Es war wirklich traurig, dass die ganze Saison deswegen weg war. Im letzten Winter bin ich dann, so blöd es auch klingen mag, nicht mehr gut genug gewesen, um mich in Norwegen durchzusetzen und an den internationalen Rennen teilzunehmen. Da war ich bereits auf mich allein gestellt, der Verband ließ mich einfach fallen.

Biathlon: „Das ganze System in Norwegen ist gnadenlos“

SPORT1: Wann haben Sie sich entschieden, Ihre Karriere nicht fortzusetzen?

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Andersen: Nach der Saison, in der Woche vor Ostern. Ich habe meine Situation evaluiert und in Ruhe überlegt, was ich alles tun müsste, um doch noch einen Platz im Olympiakader zu ergattern. Das war allerdings verdammt weit weg und nicht realistisch. Hinzu kam: Ich hatte schon nicht mehr die gleiche Freude - und wenn man dann sieht, wie Athleten in Norwegen teilweise vom Verband behandelt werden, nahm mir das den letzten Rest meiner Motivation.

SPORT1: Was genau meinen Sie?

Andersen: Das ganze System in Norwegen ist gnadenlos, kalt und manchmal total unverständlich. Von außen sieht man meist nur die strahlenden Sieger. Diejenigen, die im Weltcup ganz oben stehen. Was sich dahinter abspielt, bleibt oft verborgen. Athleten, die für jedes andere Eliteteam der Welt gut genug wären, werden ohne Erklärung degradiert oder im Stich gelassen. An einem Tag hockt man noch gemütlich beisammen, am nächsten wird man vor die Tür gesetzt. Man trainiert das ganze Jahr, zeigt über Monate hinweg, was man zeigen muss. Dann läuft es ein Wochenende schlecht und man ist sofort raus. Das ist extrem frustrierend.

„Wahnsinn und ein unglaublich schlechter Umgang“

SPORT1: Sie sagten bereits, dass es in Norwegen sehr viele Anwärter auf wenige Startplätze gibt. Da scheinen harte Entscheidungen fast an der Tagesordnung zu stehen, kleinere und größere Streitigkeiten genauso. Ihr Bruder Aleksander Fjeld Andersen flog 2023 auch aus dem Team, beendete danach seine Karriere und kritisierte den Verband scharf.

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Andersen: In der letzten Saison sah man es unter anderem an der Situation von Vetle Sjastad Christiansen. Zuerst lief er im Weltcup, dann verlor er seinen Platz, kämpfte sich im IBU-Cup zurück - und wurde am Ende trotz erbrachter Leistungen nicht wieder in den Weltcup berufen. Ein öffentlicher Streit folgte, Vetle war so verärgert, dass er die letzten Rennen im IBU-Cup gar nicht mehr bestritt. Es ist immer wieder ein Mix aus schlechtem Management des norwegischen Verbandes und miserabler Kommunikation. Sie ändern nichts, es passiert ständig das Gleiche. Für die Athleten ist es sehr hart, wenn man gar nichts über die Hintergründe der Entscheidungen erfährt. Manchmal ist deine Leistung gut genug. Ein anderes Mal machst du das Gleiche und wirst ohne Begründung nicht berücksichtigt. Die Verantwortlichen ziehen ihr Ding durch. Wie es den Sportlern geht, scheint wohl nicht im Vordergrund zu stehen.

SPORT1: Zuletzt sorgte auch der Rauswurf von Karoline Offigstad Knotten aus dem norwegischen Nationalteam für Aufsehen. Sie hatte im Hinblick auf die Olympischen Winterspiele eigene Schwerpunkte im Training setzen wollen, was der Verband nicht unterstützte und Knotten aus dem Kader verbannte.

Andersen: Auch das ist ein Paradebeispiel für die desaströse Kommunikation, das muss man leider so sagen. Im Fall von Knotten gibt es keinen Grund, sie nicht im Nationalteam zu behalten. Das Problem ist jedoch: Wenn man diesem System angehört, gibt es kaum Spielraum für eigene Entscheidungen, was ich extrem kritisch finde. Karoline wollte nur das Beste für sich, redete mit den Verantwortlichen und beim nächsten Gespräch wurde ihr mitgeteilt, dass sie aus dem Team raus ist. Wahnsinn. Ein unglaublich schlechter Umgang.

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„Das darf im Sport keinen Platz haben“

SPORT1: Ist es nicht sogar das Gegenteil - also positiv - wenn Athletinnen und Athleten sich Gedanken machen und Dinge in Frage stellen?

Andersen: Genau. Aus der Mannschaft geworfen zu werden, weil man sich mit einem Trainingsplan auseinandersetzt und etwas hinterfragt, sollte niemals passieren. Ganz ehrlich: Das ist lächerlich. Athletinnen und Athleten müssen für sich selbst denken dürfen. Sie sind Individuen, für jeden ist vielleicht etwas anderes das Beste. Alles andere wäre ja fast wie eine Diktatur, das darf im Sport keinen Platz haben. Sie müssen dringend reflektieren, was sie getan haben und überlegen, ob sie in Zukunft wirklich so weitermachen wollen.

SPORT1: Sie haben sich nach Ihrem Rauswurf aus der Nationalmannschaft auch über die Kommunikation beklagt, dazu kommt der enorme Konkurrenzkampf in Norwegen. Haben Sie schon mal gedacht: ‚Ich wäre lieber Deutscher‘?

Andersen: Ja, zu 100 Prozent (lacht). Viele Athleten in Norwegen, die nicht im Weltcup starten, reden wirklich oft darüber und denken sich: ‘Was wäre möglich, wenn ich einen anderen Pass hätte?‘ Als Junior bin ich zum Beispiel gegen Tommaso Giacomel und Niklas Hartweg gelaufen. Sie hatten im Männer-Bereich immer die Möglichkeit, alle Rennen zu absolvieren, egal wie gut oder schlecht ihre Form war. Das ist super wichtig für die Entwicklung eines Athleten – und deshalb sind die beiden jetzt auch so gut, wie sie sind. In Norwegen ist das völlig anders. Hier läuft man im Weltcup ein schlechtes Rennen und ist direkt weg vom Fenster, was einen unglaublichen Druck erzeugt. Hätte ich einen deutschen, italienischen oder Schweizer Pass, wäre meine Karriere mit Sicherheit anders verlaufen. Aber das gehört eben auch zum Sport.

SPORT1: Ein weiterer Aufreger der vergangenen Wochen war die harsche Medienkritik von Ingrid Landmark Tandrevold. Sind die norwegischen Medien zu negativ?

Andersen: Nein, finde ich nicht. Es ist die Aufgabe der Medien, kritische Fragen zu stellen und auch über negative Dinge zu berichten. Das muss man als Sportler aushalten können - davon bleiben selbst die größten Stars in Norwegen nicht verschont. Am Ende ist es aber immer eine Frage, was man selbst daraus macht. Wenn du keine Aufregung willst, sagst du einfach: ‚Ja, mein Rennen war schlecht, nächstes Mal will ich es besser machen.‘ Wenn man allerdings detaillierter oder emotionaler auf die Dinge eingeht, kommen automatisch noch mehr Fragen zu bestimmten Themen, es wird automatisch noch mehr nachgehakt.

Bö? „Er war ein Idol“

SPORT1: Wie Sie haben auch die norwegischen Ausnahmeathleten Johannes Thingnes und Tarjei Bö ihre Karriere beendet. Wie war Ihr Verhältnis zu ihnen - und gibt es besondere Geschichten, die Sie mit ihnen verbinden?

Andersen: Keine besonderen Geschichten, aber ich erinnere mich, dass es immer sehr cool war, mit ihnen zu trainieren. Ich bin elf Jahre jünger als Tarjei. Als ich zehn Jahre alt war, habe ich seine Rennen als Fan im Fernsehen verfolgt. Er gewann den Gesamtweltcup, holte WM-Medaillen - für mich war er ein Idol. Als ich dann das erste Mal mit ihm zusammen im Trainingslager war und wir in einem Zimmer saßen, war das ein besonderer Moment. Sie sind beide sehr, sehr nette Jungs, halfen dem Team immer sehr und prägten auch mich.

SPORT1: Welcher Norweger hat Ihrer Meinung nach das größte Potenzial, in die riesigen Fußstapfen von Johannes Thingnes Bö zu treten?

Andersen: Ich glaube, mit der Antwort Sturla Holm Laegreid ist man erst einmal auf der sicheren Seite (lacht). Er war in den letzten Jahren so oft Zweiter hinter Johannes Thingnes Bö, dieses Jahr setzte er sich im Gesamtweltcup sogar durch. Wenn er so weitermacht, so überragend schießt und so konstant läuft, wird es sehr schwer, ihn zu schlagen. Aber auch Isak Frey entwickelt sich toll. Ich sehe in seiner Situation viel von meiner damaligen. Das Potenzial ist da, jetzt braucht er das volle Vertrauen und viele Wettkämpfe auf höchstem Niveau. Deshalb: Möge er keine Probleme mit dem Verband bekommen und sich bestmöglich weiterentwickeln können. Ich hoffe, dass sie aus ihren Fehlern gelernt haben und gut auf ihn aufpassen.

SPORT1: Zurück zu Ihrer Person. Sie galten früher als eines der größten Talente im Biathlon, standen zweimal im Weltcup auf dem Podest. Jetzt ist Schluss. Sind Sie zufrieden mit Ihrer Karriere oder schwingt auch Enttäuschung mit?

Andersen: In erster Linie bin ich sehr stolz auf das, was ich in so jungen Jahren erreicht habe. Es gibt nur wenigen Athleten, die von sich behaupten können, im Weltcup einmal auf dem Podest gestanden zu haben. Viele Biathleten schaffen es ja nicht einmal, überhaupt ein Weltcuprennen zu laufen. Insofern bin ich extrem zufrieden. Andererseits ist es bitter zu wissen, dass meine Karriere wohl anders verlaufen wäre, wenn ich einen anderen Pass gehabt hätte.

„Ich musste drei Operationen über mich ergehen lassen“

SPORT1: Welcher Moment Ihrer Karriere ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?

Andersen: Mein erster Podestplatz im Weltcup. Die Saison davor, als ich den IBU-Cup gewann, war die erste Saison, die ich überhaupt von Anfang bis Ende bestreiten konnte. Davor hatte ich Herzprobleme. Bei mir wurde Vorhofflimmern festgestellt, ich musste drei Operationen über mich ergehen lassen. Diesen Weg zu gehen, sich zurückzukämpfen, den IBU-Cup zu gewinnen und dann im Weltcup so schnell auf dem Podest zu stehen, war etwas ganz Besonderes. Dieses Podest teilte sich sogar mit Johannes Thinges Bö, dem meiner Meinung nach besten Biathleten aller Zeiten. Ein unvergesslicher Tag.

SPORT1: Sie sind ein sehr junger „Biathlon-Rentner“. Wie sehen Ihre Zukunftspläne aus?

Andersen: Ich studiere jetzt im vierten Semester Jura, das will ich erst einmal zu Ende bringen. Danach schaue ich in Ruhe, was die Zukunft bringt. Konkrete Pläne habe ich nicht. Aber ich bin erst 25 Jahre alt, werde im Sommer 26 und habe gefühlt noch mein ganzes Leben vor mir. Ich bin gespannt, was alles auf mich zukommt - vielleicht auch im Biathlon. Das Umfeld ist sehr cool und ich hoffe, dass ich mit vielen Leuten in Kontakt bleiben kann.

SPORT1: Könnten Sie sich vorstellen, dem Biathlon erhalten zu bleiben, zum Beispiel als Trainer?

Andersen: Ich glaube nicht, dass ich in den nächsten Jahren Trainer werde. Aber falls ich in zehn Jahren den Biathlonsport vermissen sollte, werde ich vielleicht noch einmal darüber nachdenken (lacht).