Hanna Kebinger hat in ihrer Karriere bereits einige Höhen und Tiefen durchlebt. Als aufstrebendes Talent schaffte sie im Winter 2022/2023 den Durchbruch: Sie gewann bei der Heim-WM in Oberhof Silber mit der Staffel und lief im Weltcup bei acht Rennen sechsmal in die Top 15. Nach dem Rücktritt von Denise Herrmann-Wick sahen viele Kebinger sogar als neues Zugpferd – auch innerhalb des DSV.
Das Rätsel ist endlich gelöst
Doch gesundheitliche Probleme, allen voran eine Corona-Erkrankung, bremsten die 27-Jährige Ende 2023 erheblich aus. Kebinger verpasste auch die WM 2024 wegen anhaltender Formschwäche und beendete daraufhin ihre Saison vorzeitig. Im vergangenen Winter versuchte sie es noch einmal im zweitklassigen IBU-Cup, kam dort aber nicht über einige enttäuschende Ergebnisse hinaus.
Lange rätselte Kebinger darüber, was mit ihrem Körper los war - ohne eine Antwort zu erhalten. Ärzte und Experten tappten im Dunkeln. Fans warteten, aber hörten nichts. Manche Medien spekulierten gar über ein stilles Karriereende.
Aber dazu kommt es nicht. Denn mittlerweile hat Kebinger Antworten auf ihre Fragen und blickt wieder kämpferisch in die Zukunft. SPORT1 sprach mit der gebürtigen Bayerin.
SPORT1: Hanna Kebinger, Sie haben zuletzt Mitte Januar 2024 an einem Weltcup teilgenommen. Auch die vergangene Saison mussten Sie aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig beenden. Daher die wichtigste Frage vorweg: Wie geht es Ihnen?
Hanna Kebinger: Soweit ist alles gut. Was meine Gesundheit betrifft, befinde ich mich endlich auf dem Weg der Besserung. Ich bin noch nicht bei 100 Prozent. Aber ich kann auf jeden Fall behaupten, dass ich Fortschritte spüre, sodass ich mich wieder besser fühle und mehr ich selbst sein kann.
Kebinger: Post-Covid war der Grund
SPORT1: Bei Instagram schrieben Sie, dass Sie des „Rätsels Lösung einen großen Schritt näher gekommen” sind und Sie spüren, „wie es nach langer Zeit endlich bergauf geht”. Was ist denn die Lösung des Rätsels?
Kebinger: Im Grunde litt ich an Post-Covid. Dadurch konnten meine Mitochondrien, die für die Energieproduktion des Körpers zuständig sind, ihre Arbeit nicht mehr richtig verrichten, wie es bei einem normalen Energiehaushalt der Fall wäre. Das ist immer schlecht, im Leistungssport aber besonders heftig. Mein Körper war nicht in der Lage, genügend Energie zu produzieren, damit ich im Training oder bei Wettkämpfen durchhalte. Es dauerte ewig, bis die Diagnose feststand. Das ging nur über umfangreiche Blutbilder. Umso glücklicher bin ich jetzt, dass ich weiß, was los ist.
SPORT1: Wann fingen diese Probleme an?
Kebinger: Meine Corona-Erkrankung liegt jetzt anderthalb Jahre zurück. Im Sommer 2022 war ich schon einmal an Corona erkrankt, damals hatte ich aber nur leichte Probleme mit der Lunge. Zu Beginn der Saison 2023/24 erwischte es mich in Östersund dann zum zweiten Mal – und seitdem ist nichts mehr wie vorher.
„Hatte definitiv Angst um den Sport“
SPORT1: Was ging Ihnen in den vielen Wochen und Monaten, in denen Sie nicht wussten, was mit Ihrem Körper los war, durch den Kopf?
Kebinger: Es ist schwer, dafür die richtigen Worte zu finden. Aber man fühlt sich einfach völlig leer und fertig, man hat für nichts mehr Energie. Das begann bei den simpelsten Dingen wie Spazierengehen. Ein paar Schritte und ich war sofort aus der Puste. Da bekam ich schon Angst, dass es nicht mehr besser wird und vielleicht ein Dauerzustand bleibt. Und wenn dir selbst die Ärzte lange nicht sagen können, was das Problem ist, ist das noch erdrückender. In diesen Momenten fühlt sich alles ungewiss an.
SPORT1: War Ihnen von Anfang an klar, dass Sie weiterhin Leistungssport ausüben können würden?
Kebinger: Nein, manchmal hatte ich definitiv Angst um den Sport. Um das, worauf man jahrelang hingearbeitet hat, um das, was die eigene Leidenschaft ist. Vor meinem inneren Auge sind meine Kindheitsträume erst einmal zerplatzt. Ich dachte mir: Wenn es jetzt gar nicht mehr besser wird, ist alles futsch.
Gesundheit wichtiger als Biathlon
SPORT1: Solche Erlebnisse verschieben sicherlich auch die Prioritäten und verändern die Sichtweise auf die Dinge.
Kebinger: Auf jeden Fall. Mir ist schnell klar geworden, dass der Sport zwar schon noch die Sache ist, für die man brennt, die Gesundheit aber das wichtigste Gut im Leben ist. Man hat ja hoffentlich auch nach der Karriere noch ein langes Leben, in dem man viele tolle Dinge machen kann. Wenn die Gesundheit dann nicht mitspielt, verschiebt sich der Fokus automatisch. Früher war der Sport für mich immer die Nummer eins, alles andere kam nebenher. Inzwischen sehe ich das anders.
SPORT1: Ende 2015 zogen Sie sich bei einem Rennunfall eine Nackenverletzung zu, die ihren Gleichgewichtssinn und ihre Konzentrationsfähigkeit über längere Zeit beeinträchtigte. 2019 folgte wegen einer Herzbeutelentzündung eine weitere längere Pause. Jetzt kam die Zwangspause wegen Post-Covid hinzu - viele Rückschläge. Was treibt Sie immer wieder an?
Kebinger: Der Grund ist einfach: Ich liebe diesen Sport. Ich war von klein auf draußen in der Natur unterwegs, habe mich wahnsinnig gerne bewegt und bereits im Kindergartenalter eine Leidenschaft für das Langlaufen entwickelt – und dann auch schnell für Biathlon. Solange mich das innerlich antreibt, werde ich meine Karriere nicht aufgeben. Dass ich den Weg zurück schon einmal bewältigt habe, spornt mich an. Natürlich wird es nicht leichter, dass ich mich nun zum dritten Mal zurückkämpfen muss. Aber ich habe in den letzten Jahren bewiesen, dass ich ein Stehaufmännchen bin und immer wieder nach oben zurückkommen kann – egal, wie oft man mich umschubst (lacht).
DSV: Kebinger nicht mehr im Kader
SPORT1: Der Deutsche Skiverband (DSV) hat seine Kaderlisten für die kommende Saison bereits veröffentlicht. Ihr Name fehlt in den neuen Mannschaftseinteilungen – Sie haben keinen Kaderstatus mehr. Waren Sie davon überrascht?
Kebinger: Ich wusste schon vor der offiziellen Bekanntgabe, dass es nicht für die höchste Kaderstufe reicht. Dadurch, dass ich jetzt weiß, was mit mir los war, hoffte ich, dass es vielleicht noch mit einem Ergänzungskader oder etwas Ähnlichem klappt. Aber klar, auf der anderen Seite habe ich die Kaderkriterien leistungstechnisch nicht erfüllt. Die Entscheidung ist sportlich erklärbar. Ich bekam letztes Jahr schon einen Krankenstatus und das volle Vertrauen vom DSV, gleich wieder in der Lehrgangsgruppe 1a zu stehen – das war nicht selbstverständlich.
SPORT1: Wie schnell es zurück nach oben gehen kann, haben Sie im Winter 2022/23 selbst demonstriert, als Sie binnen zwei Monaten vom Deutschlandpokal über den IBU-Cup bis in den Weltcup und zur WM nach Oberhof stürmten. Dort waren Sie gar Teil der Silber-Staffel um Denise Herrmann-Wick.
Kebinger: Genau. Das ist eine große Zusatzmotivation. Am wichtigsten ist, dass ich weiterhin Teil des Zoll-Skiteams bin und Unterstützung erhalte. Dafür möchte ich mich bei Felix Bitterling bedanken, der immer noch an mein Potenzial glaubt. Er hat sich bei meinem Arbeitgeber extrem dafür eingesetzt, dass ich weiterhin gefördert werde. Die Qualifikationsmöglichkeiten sind ohnehin sehr offen. Ich habe alle Chancen und wenn ich gut genug bin, kann mich ganz normal für den Weltcup qualifizieren. Bis dahin will ich in aller Ruhe zu mir selbst und wieder zu 100 Prozent zurück in den Trainingsalltag finden.
„Mein Ziel ist es, wieder in den Weltcup zurückzukehren“
SPORT1: Welche Ziele stecken Sie sich für den kommenden Winter?
Kebinger: Mein Ziel ist es, wieder in den Weltcup zurückzukehren. Was danach kommt, lasse ich auf mich zukommen. Nach zwei Jahren wäre es auch schwierig, es anders zu vermitteln. Für mich ist es zunächst einmal entscheidend, stabile Leistungen zu bringen und gesundheitlich wieder auf der Höhe zu sein. Der Rest wird sich dann hoffentlich von selbst ergeben.
SPORT1: Schielen Sie mit einem Auge noch auf die Olympischen Spiele?
Kebinger: Selbstverständlich glaube ich daran, bei Olympia dabei sein zu können. Als Sportlerin schwebt einem so etwas automatisch im Hinterkopf – das muss auch so sein. Aber ich will mir keinen Stress machen, sondern von Woche zu Woche schauen. Ich gehe die Sache mit kleinen Zielen an.
SPORT1: Wenn Sie eine Kristallkugel hätten, was würden Sie wissen wollen?
Kebinger: Ich glaube, ich möchte überhaupt nicht wissen, was in der Zukunft passiert. Es ist viel schöner, im Hier und Jetzt zu leben und sich überraschen zu lassen.