„Den Tag werde ich nie vergessen.“ Was Laura Dahlmeier der dpa viele Jahre später rückblickend über ihren ersten WM-Auftritt sagen würde, gilt auch für viele Biathlon-Fans. Denn der 15. Februar 2013 war die Geburtsstunde der Karriere einer der größten Biathletinnen der Geschichte - und wohl das eindrucksvollste Debüt, das der Biathlonsport je gesehen hat.
Zum Tod von Laura Dahlmeier: Eine Ausnahmeerscheinung
Eine Ausnahmeerscheinung
Dabei war es schon eine Überraschung, dass Dahlmeier ohne jede Weltcup-Erfahrung für die WM in Nove Mesto nominiert worden war. Noch viel verwunderlicher wurde aber die Nachricht während der WM aufgenommen, dass die erst 19-Jährige nicht nur Erfahrung als Ersatzläuferin sammeln soll, sondern für die Staffel aufgestellt wird. Selbst im ZDF sprach man damals von „hohem Risiko“.
Der mutige Plan schien zunächst nicht aufzugehen. Statt eines Vorsprungs wurde Dahlmeier von Franziska Hildebrand und der in der Saison sonst so starken Miriam Neureuther (damals Gössner) auf Rang acht und mit knapp 40 Sekunden Rückstand ins Rennen geschickt. Und nun sollte ausgerechnet der Youngster ohne jede Erfahrung im Erwachsenen-Bereich ein Wunder vollbringen?
Was keiner für möglich hielt, wurde Realität. Bereits in der ersten Runde machte Dahlmeier zwölf Sekunden auf die Führende gut, ehe sie fehlerfrei im Liegendanschlag blieb. ZDF-Experte Herbert Fritzenwenger sprach begeistert vom „perfekten Schießen einer 19-Jährigen, die noch nie gegen diese absolute Weltspitze gelaufen ist. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen.“
„Unbeschreiblich“: Dahlmeier-Debüt macht sprachlos
Und es wurde noch besser, denn während die Konkurrenz mit einer Ausnahme verzweifelte, räumte Dahlmeier auch im Stehendschießen alles ohne Nachlader ab. Fritzenwenger konnte ein „Bravo“ rauspressen, ehe er in ungläubiges Lachen verfiel. Das wiederholte sich in der Schlussrunde, als Dahlmeier sich mit der WM-Medaillengewinnerin Valj Semerenko um die Führung duellierte.
„Diese 1-1-Technik so lange da hochzulaufen, ist alleine schon Wahnsinn. Ich bin ganz aus dem Häuschen. Diese Leistung von Dahlmeier ist einfach unbeschreiblich“, rief Fritzenwenger, als Dahlmeier die Ukrainerin schließlich stehen ließ und mit einigen Sekunden Vorsprung auf Schlussläuferin Andrea Henkel übergab.
Da diese patzte, wurde es am Ende zwar keine Medaille – doch Dahlmeier war danach in aller Munde. Der damalige Bundestrainer Ricco Groß fand die Leistung „sensationell“ und selbst der sonst eher ruhige Experte Sven Fischer hatte seinem ZDF-Kollegen Alexander Ruda gesagt: „Junge, sag Sensation.“
Fischer war schnell klar, dass hier eine ganz besondere Athletin ihr Debüt gegeben hatte: „Man muss sich vorstellen, sie ist 19 Jahre, sie kommt neu rein. Eine gewisse Unruhe ist normalerweise immer da. Aber sie spult einfach ihr Rennen ab.“
Wie eine echte Ausnahmeathletin eben. Und das war sie zweifelsohne. So wurde sie Doppel-Olympiasiegerin, holte 15 WM-Medaillen, davon siebenmal Gold, und gewann den Gesamtweltcup.
Was die Berge für Dahlmeier so anziehend machte
Doch wirklich erfüllen konnte sie auch das irgendwann nicht mehr und so beendete sie ihre Biathlon-Karriere mit erst 25 Jahren und ging ihrer anderen großen Leidenschaft nach, dem Bergsteigen.
Einige Jahre später verriet sie im „Ski & Berge - Das DSV Magazin“ auf SPORT1, was für sie die Faszination daran ausmacht: „Die Berge sind für mich ein ganz besonderer Ort. Auf der einen Seite ein Kraftort, an dem ich Energie tanken kann. Auf der anderen Seite kann ich mich da auch richtig challengen, herausfordern und schon auch mal die Grenzen ausloten.“
Während ihr im Biathlon nie sonderlich gefiel, dass sie als besonders angesehen und ins Rampenlicht gedrängt wurde, fand sie in den Bergen ihre Ruhe: „Ich finde es total schön, dass in den Bergen jeder Mensch gleich ist. Es ist total egal, was du sonst im privaten Leben machst oder beruflich. Am Berg zählen die wahren Qualitäten.“
Die Berge waren Dahlmeiers Leben - und insofern verwundert es wenig, dass es ihr ausdrücklicher Wunsch war, ihren Leichnam am Berg zurückzulassen, bevor andere Menschen für die Bergung ihr Leben riskieren müssten. Die Biathlon-Olympiasiegerin starb nach einem Steinschlag bei einer Expedition am Laila Peak in Pakistan. Sie wurde nur 31 Jahre alt.
Neuner und Neureuther mit emotionalen Worten
Ihre Familie verabschiedete sich unter dem Instagram-Foto in einer bewegenden Botschaft „von einem großartigen Menschen. Laura hat mit ihrer herzlichen und gradlinigen Art unser Leben und das Leben vieler bereichert“, heißt es dort: „Sie hat uns vorgelebt, dass es sich lohnt, für die eigenen Träume und Ziele einzustehen und sich dabei immer treu zu bleiben.“
Weit über die Sportwelt hinaus sorgte die Nachricht von Dahlmeiers Tod nach dem tragischen Unglück in Pakistan für tiefe Trauer.
Biathlon-Kollegin Magdalena Neuner postete bei Instagram ein Bild mit Dahlmeier und dazu ein schwarzes Herz. „Sie war ein großes Vorbild in der Hinsicht, dass sie ihr Leben gelebt hat und sich überhaupt nicht von anderen Leuten beeinflussen ließ“, sagte Neuner der dpa: „Da war sie für mich eine Pionierin. Dass sie immer ihrer Leidenschaft gefolgt ist - das haben wenige geschafft so wie Laura.“
Auch Neureuther, die Dahlmeier bei ihrem Debüt in Nove Mesto lautstark anfeuerte, zeigte sich geschockt: „Vom Vogelbaby im Kindergarten über unsere Skiclub-Garmisch-Zeit und dann all die gemeinsamen Jahre in unserem Sport. Diese Erinnerungen werde ich für immer in meinem Herzen tragen! Du warst eine außergewöhnliche Sportlerin, die es so sicher kein zweites Mal auf dieser Welt geben wird! Aber vor allem als Mensch, Laura, wirst du uns allen sehr fehlen!“
Dahlmeier: „Im Biathlon-Zirkus Stück weit eingeschränkt“
Ihren Biathlon-Rücktritt hatte Dahlmeier in einer ZDF-Doku einst damit begründet, dass sie sich „im Biathlon-Zirkus ein Stück weit eingeschränkt gefühlt“ hatte. Für sie stehe der „Wert Freiheit ganz weit oben“, erklärte sie: „Der ist mir heilig.“
Jene Freiheit fand sie stets bei ihren Bergtouren.
Neben „gesundem Körper und Geiste“ brauche es auch „das nötige Quäntchen Glück, damit ich immer wieder heil nach Hause komme“, sagte sie einst der Gala. Dieses „Quäntchen Glück“ verließ sie bei ihrer letzten Mission am 6069 Meter hohen Laila Peak.
Unvergessen bleiben aber nicht nur der 15. Februar 2013, sondern auch die Erinnerungen an eine Ausnahmeerscheinung.
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Mit Sport-Informations-Dienst (SID)