Felix Leitner startete verheißungsvoll. Drei Goldmedaillen bei Junioren-Weltmeisterschaften, der Europameistertitel 2018 im Einzel, nach seinem Einstieg in den Weltcup zwei Top-Ten-Resultate bei der Weltmeisterschaft 2020 sowie ein zweiter Platz beim Massenstart 2021 in Oberhof. Eine große Biathlon-Karriere schien vorprogrammiert.
Österreichischer Biathlet packt aus
Österreichischer Biathlet packt aus
Aber daraus wurde nichts. Stattdessen zeigte die Formkurve in den vergangenen Jahren kontinuierlich nach unten. Körperliche, mentale und gesundheitliche Probleme trugen dazu bei. Im Gesamtweltcup sprangen in den vergangenen beiden Wintern nur noch die Plätze 42 und 60 heraus. Für die kommende Olympia-Saison erhielt Leitner keinen Kaderstatus mehr vom Österreichischen Skiverband (ÖSV).
Anfangs hieß es, Leitner wolle nicht aufgeben und sich auf eigene Faust einen Platz im Team erkämpfen. Nun hat er doch die Reißleine gezogen und im Alter von nur 28 Jahren seine Karriere beendet. SPORT1 hat mit dem gebürtigen Tiroler über die Hintergründe seiner Entscheidung gesprochen. Dabei offenbart er eine Verletzung - und richtet scharfe Worte gegen seinen früheren Verband.
SPORT1: Felix Leitner, Sie haben am Montag Ihr Karriereende bekannt gegeben. Wie geht es Ihnen damit?
Felix Leitner: Wirklich gut. Es war keine kurzfristige Entscheidung, ich habe mir lange Gedanken gemacht. Deswegen passt es jetzt so, wie es ist.
Olympia? „Danach hätte ich wohl so oder so aufgehört“
SPORT1: Für viele andere Athleten, Beobachter und Fans kam diese Nachricht überraschend. Wann haben Sie sich denn für diesen Schritt entschieden?
Leitner: Ich wurde vor zwei Wochen an den Bandscheiben operiert, ab diesem Zeitpunkt war es eigentlich klar. Ich erlitt im Juli einen Bandscheibenvorfall, den ich zunächst gut unter Kontrolle hatte. Aber Ende August, nach dem City-Event in Dresden, kamen die Schmerzen zurück und wurden immer extremer. Irgendwann konnte ich nicht mehr gehen oder sitzen, sondern nur noch auf dem Bauch liegen. An Training war nicht mehr zu denken. Ein paar Tage zuvor habe ich mir noch Gedanken darüber gemacht, wie es weitergeht.
SPORT1: Wahrscheinlich wegen den Olympischen Spielen im Februar.
Leitner: Genau. Mein ganz großes Ziel war Olympia. Danach hätte ich wohl so oder so aufgehört. Aber ich wusste sofort, dass es mit der Verletzung sehr eng wird. Selbst wenn alles optimal gelaufen wäre, hätte ich frühestens im Januar wieder in den Weltcup einsteigen können – allerdings ohne eine vernünftige Vorbereitung. Und ich hatte mir nach dem enttäuschenden Vorjahr geschworen, auf keinen Fall mehr halbfit am Start zu stehen. Also stand schnell fest: Wenn ich mich operieren lasse, werde ich 2026 keine Rennen laufen. Und wenn 2026 keine Rennen gelaufen werden, ist sowieso Schluss.
Leitner: „Die Freude und das Feuer für den Sport verloren“
SPORT1: Anfang Mai gab der Österreichische Skiverband (ÖSV) die Kader für die kommende Saison bekannt – und hatte eine böse Überraschung für Sie parat. Sie erhielten keinen Platz im Olympia-Team und tauchten nicht einmal im B- oder C-Kader auf. Teilweise wurde gemutmaßt, dass Ihr Karriereende auch damit zusammenhängt.
Leitner: Meine Karriere habe ich definitiv nicht wegen des fehlenden Kaderplatzes beendet. Einen Einfluss hatten die generellen Verhältnisse aber trotzdem. Dadurch, dass ich in Österreich nicht das Umfeld hatte, in dem ich gefördert werde, in dem ich mich wohlfühle und merke, dass jeder das Beste für mich will, habe ich in den letzten harten Jahren allmählich die Freude und das Feuer für den Sport verloren. Und das braucht man im Leistungssport eben, um erfolgreich zu sein.
SPORT1: Nach der Verkündung des Kaders machten Sie Ihrem Ärger Luft und schrieben ironisch: „Richtige Experten am Werk. Super.“ Warum?
Leitner: Ich habe vor zwei Jahren angefangen, meine Sommer abseits vom Verband zu gestalten, und bin erst vor den Wintern wieder zum restlichen Team gestoßen. Das hat man anscheinend nicht gerne gesehen. Aber Lisa (Theresa Hauser, Anm. d. Red.) macht das ja auch, denn offensichtlich funktioniert es im ÖSV gerade nicht. Dass ich keinen Kaderplatz mehr bekam, war wohl eine Trotzreaktion darauf, um mir zu zeigen: So geht es nicht. Ich war enttäuscht. Menschlich kam ich mit jedem gut zurecht, deswegen hat mich das schon irgendwo verletzt und diese Reaktion ausgelöst. Im österreichischen Biathlon liegt derzeit einfach einiges im Argen.
SPORT1: Können Sie das konkretisieren?
Leitner: Darauf will ich gar nicht weiter eingehen. Ich möchte keine einzelnen Personen an den Pranger stellen und es ist auch nicht meine Aufgabe, Dinge innerhalb des ÖSV zu verbessern. Ich drücke den Athleten die Daumen, dass es jetzt wieder besser wird. Das Potenzial ist auf Seiten der Athleten vorhanden. Aber als Athlet allein kann man nichts ausrichten. Genauso wichtig ist ein funktionierendes Team im Hintergrund.
„Dann hat das System angefangen zu bröckeln“
SPORT1: Für den österreichischen Biathlon-Sport verlief die vergangene Weltcup-Saison nicht gut. Bei den Frauen konnte lediglich Hauser mit Rang elf in der Gesamtwertung vorne mithalten. Bester Athlet im Männer-Team war der 42 Jahre alte Simon Eder auf Rang 36.
Leitner: Vor einigen Jahren hatten wir in Österreich eine super Mannschaft beisammen. Aber dann hat das System angefangen zu bröckeln. Viele gute Trainer sind gegangen, wenige bessere kamen. Mit dem Material haben wir seit den Olympischen Spielen 2022 in Peking Probleme, die Skier sind andauernd Thema. Man hat uns nie ernst genommen, es ist von Jahr zu Jahr immer nur noch schlimmer geworden. Gefühlt stand nicht mehr der Athlet im Mittelpunkt, sondern alles andere.
SPORT1: Sie galten lange Zeit als eines der größten Biathlon-Talente Ihres Landes. Denken Sie rückblickend, dass Sie alles aus Ihrer Karriere herausholen konnten?
Leitner: Als ich mir am Schluss die Bilder angesehen habe, tat es schon weh, weil ich zwischenzeitlich auf einem sehr guten Weg war. In jungen Jahren hatte ich viel Glück mit meinem Umfeld und mit Dominik Landertinger oder Simon Eder super Vorbilder. Da konnte ich mich richtig pushen. Aber ich bin ein Athlet, der das auch braucht: ein gutes Umfeld. Dass jeder das Beste für einen will. Das war dann nicht mehr so, und die Abwärtsspirale begann. Es kamen gesundheitliche Probleme hinzu und mental war es sehr schwierig. Aus der Jugend war ich es nicht gewohnt, hinterherzulaufen. In den nächsten Jahren wäre Erfolg im System ÖSV für mich nicht mehr möglich gewesen. Jetzt bin ich froh, damit abgeschlossen zu haben, und freue mich auf das, was kommt.
„Brauche jetzt erst einmal etwas Abstand“
SPORT1: Welcher Moment Ihrer Karriere ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?
Leitner: Es gibt viele. Sportlich gesehen war es der Podestplatz 2021 im Massenstart in Oberhof. Oder der zehnte Platz bei Olympia 2022 in der Verfolgung, die Aufholjagd war großartig. Die WM in Antholz 2020 mit neunten Plätzen im Sprint und der Verfolgung auch. Ich hatte viele lässige Momente, vor allem in jungen Jahren. Darauf schaue ich gerne zurück. Und auf die Menschen, mit denen ich das erlebt habe.
SPORT1: Mit gerade einmal 28 Jahren sind Sie nun „Biathlon-Rentner“. Gibt es schon Zukunftspläne?
Leitner: Noch nicht. Ich möchte mir bis Ende Dezember oder Anfang Januar Zeit geben, um dann etwas Neues auszuprobieren. Dann will ich eine Entscheidung fällen und hoffe, etwas zu finden, das mir ähnlich viel Spaß bereitet wie der Sport.
SPORT1: Können Sie sich vorstellen, dem Sport treu zu bleiben, eventuell als Trainer?
Leitner: Vielleicht irgendwann mal, in den nächsten Jahren aber garantiert nicht. Auch wenn ich Biathlon extrem cool finde, brauche ich jetzt erst einmal etwas Abstand. Die Wunden, die die letzten Jahre hinterlassen haben, sind für alles andere noch zu frisch.