Eine Nachricht überrollt gerade die Ski-Welt, wie eine Lawine einen Berg: Lindsey Vonn, eine der erfolgreichsten Skifahrerinnen der Geschichte, könnte dank einer neuen Wildcard-Regelung in den Weltcup zurückkehren.
Sein Traum endete dramatisch
Die viermalige Gesamtweltcupsiegerin, die 2019 zurückgetreten war, soll sich ernsthaft mit einem Comeback im Alter von 40 Jahren beschäftigen. In einer Disziplin, die physische Höchstleistungen verlangt.
Wildcard für Lindsey Vonn? „Das grenzt an Verarschung“
Mit der neu eingeführten Wildcard können ehemalige Welt- und Olympiasieger bis zu 20 Rennen bestreiten, ohne die strengen Qualifikationsnormen erfüllen zu müssen. Doch während die Fans jubeln, üben ehemalige Skirennfahrer wie Markus Wasmeier, Viktoria Rebensburg und Felix Neureuther harsche Kritik. Der gesundheitliche Preis für ein Comeback sei zu hoch, sagen sie.
„Meiner Meinung nach ist das nur eine Show. Das grenzt an Verarschung“ poltert Wasmeier, Deutschlands Olympiasieger von 1994, im Exklusiv-Interview mit SPORT1. Wasmeier weiter: „Natürlich kann es Ausnahmen geben, aber in der Regel ist es saugefährlich, wenn du solche Aktionen machst und dann auch noch in den Speed-Disziplinen fährst“.
In der Argumentation contra Comeback fällt immer wieder der Name des US-Skifahrers Bill Johnson. Als Warnung, wie gefährlich ein Comeback für ältere Skifahrer sein kann. Doch wer war überhaupt dieser Johnson?
Vom Ski-Helden zur tragischen Figur
Johnsons bewegtes Leben bietet Stoff für jeden Hollywood-Blockbuster, ja, sogar für eine ganze Serie. Geboren 1960 in Los Angeles, hatte der Kalifornier eine bewegte Jugend. Als er sieben Jahre alt war, zog seine Familie nach Boise, Idaho, wo er Skifahren lernte. Doch im Alter von 17 Jahren wurde er wegen Autodiebstahls und Einbruchs verhaftet.
Der Richter bot ihm damals die Wahl zwischen einem Aufenthalt im Jugendgefängnis oder dem Besuch eines Ski-Internats, wo sein Talent tatsächlich erkannt und entwickelt wurde. Im Alter von 21 Jahren trat der Draufgänger Johnson dann dem US-Skiteam bei, zusammen mit etablierten Rennfahrern wie den Brüdern Phil und Steve Mahre.
Mit seiner respektlosen Art sorgte Johnson für Aufsehen und war den etablierten Ski-Nationen bald ein Dorn im Auge. Besonders bekannt ist die abfällige Bemerkung des österreichischen Stars Franz Klammer, der ihn einen „Nasenbohrer“ nannte.
Doch Johnson ließ sich nicht beirren: 1984 gelang ihm als erstem Amerikaner in Sarajevo der Olympiasieg in der Abfahrt. Der 24-Jährige war über Nacht ein Nationalheld. Doch nach seinem Olympia-Gold ging es beruflich und privat steil bergab.
Nach Olympia in Sarajevo kehrte Johnson nie wieder auf das Podest zurück. Ab 1990 wurde er zunehmend von Verletzungen und Formkrisen geplagt und verabschiedete sich mit nur 30 Jahren vom Profisport.
Bill Johnson wagte Comeback mit 41: „Ski to die“
Die persönlichen Schicksalsschläge, die folgten, machten ihn endgültig zum tragischen Helden: 1992 verlor Johnson seinen 13 Monate alten Sohn, der im Whirlpool eines Freundes ertrank. Dies riss den Sportler in eine tiefe Krise. Kurz darauf scheiterte seine Ehe, Johnson geriet in eine Abwärtsspirale und lebte in Armut. Der ehemalige Weltstar lebte alleine in einem alten Wohnwagen in den Bergen von Oregon, nur seine Mutter hielt noch Kontakt mit ihm.
Ein Rückfall, von dem sich Johnson wenige Jahre später zurückmeldete. Mit seinem neuen Lebensmotto „Ski to die“ – eine Symbolik, die ihm später zum Verhängnis werden sollte – beschloss er, im Jahr 2000 sein Comeback zu wagen.
Sein Ziel: sich als 41-Jähriger für die Olympischen Spiele 2002 in Salt Lake City zu qualifizieren.
Aber Johnsons ehrgeiziger Traum endete dramatisch: Beim Training für die US-Meisterschaften 2001 stürzte er in Big Mountain (Montana) schwer und erlitt ein Schädel-Hirn-Trauma, das ihn wochenlang ins Koma versetzte. Trotz intensiver Reha-Maßnahmen blieb seine linke Hirnhälfte permanent geschädigt, und seine Beweglichkeit war massiv eingeschränkt.
Vom Pflegeheim bis zum Todeskampf
Nach seinem Unfall versuchte Johnson tapfer, sich zurück ins Leben zu kämpfen. Er nahm erneut an einigen kleinen Abfahrten teil und durfte bei den Olympischen Spielen 2002 das olympische Feuer tragen – ein symbolischer Moment, der die Skigemeinschaft an seinen steilen Aufstieg und ebenso fatalen Fall erinnerte.
Die gesundheitlichen Einschränkungen blieben aber bestehen. 2010 erlitt Johnson einen Schlaganfall, der ihn dauerhaft an den Rollstuhl fesselte. Er lebte schließlich in einem Pflegeheim in Gresham, Oregon, abhängig von Sozialhilfe und der Unterstützung seiner Familie. Die letzten Jahre seines Lebens waren von Leid und Schmerzen geprägt. 2013 verzichtete er auf lebenserhaltende Maßnahmen und wartete auf den Tod, der ihn schließlich 2016 im Alter von nur 55 Jahren von seinen Qualen erlöste.
Die Parallelen zu Lindsey Vonn – eine Mahnung
Der dramatische Verlauf von Bill Johnsons Leben bewegt bis heute die Skiwelt und dient als warnendes Beispiel für ein Comeback im hohen Alter. Wasmeier, selber ehemaliger Olympiasieger, zog im Gespräch mit SPORT1 zuletzt den Vergleich zwischen Vonn und Johnson.
„Bill Johnson war eine riesige Koryphäe“, sagt Wasmeier. „Er hat eines Tages aufgehört, aber wollte unbedingt bei den Olympischen Spielen in Salt Lake City wieder mit dem Skifahren anfangen. Da war er aber schon 40 Jahre alt. Dann ist er so schwer gestürzt, dass er sechs Monate im Koma lag und später mit Hirnschäden wie ein Fünfjähriger lebte.“
Johnsons Geschichte ist ein bedrückendes Beispiel für die Risiken eines späten Comebacks im Skirennsport. Vonn könnte auf dem Weg sein, eine ähnliche Entscheidung zu treffen – doch es gibt entscheidende Unterschiede.
Johnson, dessen Lebensmotto „Ski to die“ ihm zu seinem persönlichen Fluch wurde, fuhr tatsächlich oft wie um sein Leben. Bei Vonn hingegen steht die Leidenschaft im Vordergrund, nicht das Risiko. Auf Instagram schrieb sie Mitte Oktober voller Vorfreude von „einem ganz neuen Lebenskapitel, das sich gerade entfaltet“.
Doch mit Johnsons Schicksal vor Augen ist klar: Ein Comeback wäre nicht nur eine sportliche Herausforderung – es könnte für sie ebenso gefährlich werden wie für den Mann, der einst als erster Amerikaner Olympiagold in der Abfahrt gewann.