Er gehört zu den Legenden des deutschen Sports, die im Ausland womöglich berühmter waren als in der Heimat.
Ein vergessener Mythos des deutschen Wintersports
Ein vergessener deutscher Mythos
Am 9. Oktober 2023, heute vor zwei Jahren, verstarb Gerhard Grimmer, den Sportfans im vereinten Deutschland heute eher vergessen haben, der zu seinen aktiven Zeiten aber einen internationalen Ausnahmestatus hatte: Er galt als bester Skilangläufer Mitteleuropas und schärfster Konkurrent der dominierenden Skandinavier.
Grimmer ist ein bekannter Name in der Wintersport-Nation Norwegen, wo er an legendärer Stätte zwei große Triumphe feierte - und in einer Reihe mit Idolen wie Petter Northug oder dem aktuellen Skilanglauf-Superstar Johannes Hösflot Kläbo steht.
Wie Northug und Kläbo gewann auch Grimmer einst das 50-Kilometer-Rennen am ehrwürdigen Holmenkollen. Außerdem war der frühere DDR-Athlet der einzige deutsche Skilanglauf-Einzelweltmeister des 20. Jahrhunderts. Sein Vermächtnis ist durch das DDR-Erbe aber auch belastet.
Der Olympiamedaillen-Traum blieb unerfüllt
Grimmer, geboren am 6. April 1943 in Katharinaberg im Sudetenland, das heute in Tschechien liegt, entwickelte sich am Traditionsstandort Oberhof zu einem Vorzeige-Athleten des DDR-Systems.
Der gelernte Maschinenschlosser gewann zweimal Gold bei der Weltmeisterschaft 1974 im schwedischen Falun - mit der Staffel (4x10 Kilometer) und über 50 Kilometer, er war der erste und lange einzige deutsche Einzel-Weltmeister. Erst Axel Teichmann entriss ihm mit seinem Sieg 2003 bei der WM in Val di Fiemme über 15 Kilometer dieses Alleinstellungsmerkmal.
Als erster deutscher Sportler konnte Grimmer 1975 das bekannte Holmenkollen-Rennen in Norwegen gewinnen. Ein Jahr später wiederholte er seinen Sensationssieg sogar, ehe er ein weiteres Jahr danach seine Karriere beendete. Zudem holte er weitere fünf WM-Medaillen und wurde er 17-mal DDR-Meister.
Pech und mysteriöser Vorfall bei Olympia
Dreimal stand Grimmer bei Olympischen Winterspielen an der Startlinie: 1968 in Grenoble, 1972 in Sapporo und 1976 in Innsbruck. Bei Olympia hatte Grimmer immer wieder Pech, für eine Medaille reichte es nie, auch weil ihn mehrfach Krankheit oder Verletzungen zurückwarfen. Der 5. Platz in Innsbruck über 50 Kilometer war sein bestes Olympia-Resultat.
Bei denselben Olympischen Spielen begrub ein mysteriöser Vorfall im Staffelrennen die Medaillenhoffnungen der deutschen Staffel. Vor der Übergabe an Grimmer stürzte der in Führung liegende Teamkollege Axel Lesser - der Opa des Ex-Biathleten Erik Lesser - nach einem Zusammenstoß mit einer unbekannten Frau schwer.
Die deutsche Staffel konnte das Rennen nicht beenden. Aufgeklärt wurde der unerklärliche Zusammenstoß nie, Spekulationen gab es jedoch viele. Axel Lesser und andere Athleten äußerten später die Vermutung, dass die Frau eine sowjetische Betreuerin war - wegen der politischen Verflechtungen zwischen DDR und UdSSR hätte er vor der Wende nicht darüber sprechen dürfen, obwohl Lesser von einem Versehen ausging, statt Verschwörungstheorien aufzustellen.
DDR-Vergangenheit wurde zur Belastung
Grimmer blieb dem Skilanglauf nach der aktiven Karriere erhalten. Neun Jahre fungierte er als Klubchef des ASK Vorwärts Oberhof, engagierte sich für den Thüringer Skiverband. 1991 wurde er dabei zum Verbandspräsidenten gewählt, zwischen 1991 und 2003 war er auch Leistungssportreferent beim Landessportbund.
1995 trat Grimmer als Thüringer Ski-Chef zurück, nachdem er durch Diskussionen über seine Rolle im DDR-Apparat unter Druck geriet: Aus Stasi-Akten geht hervor, dass ihm 1971 Anabolika verabreicht worden war - zudem ist vermerkt, dass das damalige SED-Mitglied nach der Karriere vom Staatsdoping-System nicht nur Kenntnis hatte, sondern auch an seiner Durchsetzung aktiv beteiligt war.
Grimmer behauptete trotzdem stets, nichts gewusst zu haben. Dass er im Nachwende-Sportdeutschland trotzdem Funktionärskarriere machte, stieß mehrfach auf Kritik. Antje Harvey (geborene Misersky), 1992 Biathlon-Olympiasiegerin in Albertville und in der DDR Repressalien ausgesetzt, weil ihr Vater ihr keine Dopingmittel verabreichen wollte, nannte Grimmers prominente Rolle beim Landessportbund 1999 in der Berliner Zeitung „unglaublich“.
Grimmer verbrachte seinen Lebensabend in Seligenthal bei Schmalkalden in Thüringen, wo er auch aufgewachsen war. Kurz vor seinem 80. Geburtstag wurde er mit Krebs diagnostiziert und starb wenige Monate später. Er hinterließ seine Ehefrau und eine Tochter.