Würde man die bisherige Saison der deutschen Skispringer in einer Metapher beschreiben, dann am besten so: Nach einem perfekten Absprung kam es zu einigen Turbulenzen, infolge derer man immer mehr an Höhe verlor.
Der Absturz der DSV-Adler
Bei welcher Weite man letztlich landet, wird erst Anfang März nach der WM in Trondheim feststehen - derzeit sieht es allerdings eher nach einer Bruchlandung als einem Rekordsprung aus.
Pius Paschke, der Hauptverantwortliche für den überragenden Saisonbeginn, ist dabei das Sinnbild der aktuellen DSV-Krise. Beim Heim-Weltcup in Willingen verpasste der 34-Jährige den zweiten Durchgang, bei den Springen in Lake Placid stand er erst gar nicht im DSV-Aufgebot.
Von Paschkes Kollegen, die sich am Wochenende die MacKenzie-Schanze herunterstürzten, landete kein einziger unter den Top Ten. Bester DSV-Adler wurde Andreas Wellinger auf Platz 16 - ein Debakel, das auch mit dem Sieg im Mixed-Teamspringen tags darauf nicht weggewischt werden konnte.
Weißflog: „Das gibt schon ein bisschen Rätsel auf“
„Uns fehlt momentan einfach der Mann in den Top 10. Das ist wohl zurzeit nicht machbar“, bedauert Skisprung-Legende Jens Weißflog im Gespräch mit SPORT1.
Der viermalige Sieger der Vierschanzentournee betont, dass die Ansprüche traditionell sehr hoch seien: „Ich vergleiche es immer ein bisschen mit dem Biathlon, da ist der zehnte Platz ein hervorragendes Ergebnis. Und im Skispringen trauert die Nation.“
Überfragt zeigt sich Weißflog vom Leitungsabfall Paschkes, der nach seinen fünf Weltcupsiegen in Folge als klarer Tournee-Favorit gehandelt wurde. „Das war für mich rein mental oder von der Trainingsmethodik her nicht erklärbar“, sagt der 60-Jährige. „Das gibt schon ein bisschen Rätsel auf.“
Die Frühform eines deutschen Fliegers ist dabei keineswegs unüblich - schon in den vergangenen Jahren kam es in den ersten Weltcupspringen häufig zu DSV-Siegen, bevor das frühe Hoch mit Tournee-Beginn jäh endete. „Wir waren auch mit Karl Geiger schon vorne im Weltcup und dann hat uns die Tournee immer den Zahn gezogen“, wundert sich Weißflog. „Es ist für mich schwer nachvollziehbar, dass es bei uns plötzlich nicht mehr funktioniert.“
Klar sei jedoch, dass das DSV-Team aktuell keine Weltklasse mehr verkörpere. „Ich sehe es im Moment so, dass wir weder athletisch noch technisch mithalten können, vor allem mit den Österreichern“, konstatiert Weißflog.
Während der frühere Weltklassespringer Martin Schmitt im Eurosport-Interview „zu viel Aggressivität“ bei Paschke sieht (“Bei ihm ist leider das System zusammengebrochen“), legt Weißflog bei drei anderen DSV-Adlern den Finger in die Wunde.
Weißflog sieht Stagnation im deutschen Skisprung
„Bei Karl Geiger sehe ich immer, dass die Ski-Auflagefläche in der Luft nicht optimal ist, dass er da die Skier oft zu sehr aufkantet und dadurch Fläche verloren geht“, analysiert der dreimalige Olympiasieger, der über zwölf Jahre Weltklasse lang verkörperte.
Bei Wellinger sei dies zwar nicht der Fall, „aber der war, auch jetzt in Lake Placid, beim Absprung oft sehr spät“. Dagegen sei Philipp Raimunds Sprungstil - ähnlich wie Schmitt es bei Paschke sieht - „oft zu aggressiv“.
Dabei mutmaßt Weißflog bei den deutschen Skispringern eine fehlende Anpassungsfähigkeit. „Das sind individuelle Techniken, die eingeprägt sind und die man oft nicht so ändert. Bei den Topspringern sieht man, dass sie sich umstellen und irgendetwas herausfinden, was besser geht. Das gelingt uns aktuell nicht.“
Die Stagnation bei den DSV-Adlern sei unverkennbar, findet der frühere Skisprungstar, dem es zu seiner Zeit gelang, den radikalen Technikwechsel vom Parallel- zum V-Stil zu meistern. Davon sind seine Nachfolger meilenweit entfernt. „Speziell in der Technik sehe ich Unterschiede zu den Spitzenleuten. Wir haben Athleten, die bilden seit Jahren die Bank des deutschen Skispringens. Da kommt selten mal ein Neuer dazu, der die neue Skisprungtechnik verkörpert“, bedauert Weißflog.
Jüngere täten sich oft leichter, auf Veränderungen zu reagieren, als jemand, der seine eingefleischte Technik hat, findet der Sachse, der insgesamt 33 Weltcupsiege feierte. „Im Moment gibt Österreich die Richtung vor. Im vorherigen Jahr war es Slowenien.“
Horngacher? „Am Ende der Saison kann so eine Frage gestellt werden“
Nachholbedarf gebe es aber auch beim Material: „Ich denke, dass wir im Anzugbereich noch Reserven haben. Da ist sicherlich der gesamte Skiverband dran, was zu finden, was innerhalb der Regeln machbar ist. Es ist aber immer ein Gesamtpaket. Sicherlich ist die Situation für keinen zufriedenstellend.“
Entsprechend skeptisch zeigt sich Weißflog, dass dem deutschen Team ausgerechnet bei der am 26. Februar beginnenden Nordischen Ski-WM der Turnaround gelingt, „auch wenn wir in der Mannschaft auf alle Fälle in der Lage dazu, um eine Medaille mitzuspringen.“
Dennoch sei eine Trainerfrage „in dem Moment fehl am Platz“, so Weißflog. Ist Stefan Horngacher also nach wie vor der richtige Mann? „Am Ende der Saison kann so eine Frage gestellt werden. Aktuell sehe ich das als verfrüht an.“
Für den Coach und seine angeschlagenen DSV-Adler mag man hoffen, dass sie doch noch etwas Auftrieb bekommen - und es zumindest keine Bruchlandung gibt.