Mit großen Ambitionen war Andreas Wellinger in die vergangene Skisprung-Saison gestartet - am Ende sprangen zwei Siege und vier Podestplätze dabei raus. Hinzu kam der Gesamtsieg beim Raw-Air und die Silbermedaille bei der nordischen Ski-WM - so richtig zufrieden ist er damit jedoch nicht.
„Das ist ein extrem geiles Gefühl“
Aktuell genießt der zweimalige Olympiasieger seine Sommerpause, in welcher er am 4. Mai das Catcher Car beim Wings for Life World Run in München fahren wird. Im Exklusiv-Interview mit SPORT1 spricht Wellinger über seine Saison, den Skandal rund um das norwegische Team, was sich im Skispringen verändern muss und seine Ziele für die Olympischen Spiele im kommenden Winter.
SPORT1: Herr Wellinger, das Ende der Skisprung-Saison ist jetzt einige Wochen her. Wie konnten Sie die freie Zeit bisher verbringen?
Andreas Wellinger: Ich war nach der Saison noch einmal in Zakopane beim Skispringen. Da gab es ein Zielspringen, eine sehr coole Veranstaltung. Und ansonsten habe ich es genossen, mein eigener Herr zu sein. In dem Sinne, dass mir keiner vorgibt, dass ich am Wochenende dahin muss und an dem Tag dorthin. Ich durfte selbst entscheiden, wie ich mein Wochenende oder das Training verbringe. Ich habe dann auch mit dem Training wieder angefangen. Ich bin jetzt im ersten Trainingsblock, athletisch gesehen. Der Urlaub findet im Mai statt. Es ist eine coole Zeit, weil mir keiner vorgibt, wann ich wo zu sein habe.
Wellinger: „Nicht ganz, was ich mir vorgestellt habe“
SPORT1: Wie bewerten Sie die Saison?
Wellinger: Es war ein Auf am Anfang, dann ein Ab mittendrin und am Ende wieder ein Auf. Das war leider nicht ganz das, was ich mir vorgestellt habe, gerade was die Konstanz über die ganze Saison hinweg angeht. Mit der Beule zwischendrin hat es nicht so funktioniert, wie ich mir das gewünscht habe. Ich muss aber trotzdem sagen, dass es insgesamt ein Erfolg war, weil es mir über die Saison hinweg und gerade Richtung Ende gelungen ist, meine Leistung abzurufen. Und das positive Ende nehme ich definitiv mit. Ich bin jetzt schon wieder voll motiviert für die neue Saison. Da stecke ich gerade in der Planung, wie ich noch etwas voranbringen kann und wie ich mich weiter entwickeln kann. Es war nicht alles perfekt, aber es hat sehr viel, sehr gut funktioniert.
SPORT1: Wie sehen Sie die Zukunft des deutschen Skispringens? In der Vergangenheit gab es viele verschiedene deutsche Sieger. Aktuell wirkt es so ein bisschen, als wenn es gerade im Nachwuchs etwas haken würde.
Wellinger: Ich habe immer mal wieder den Moment, dass junge Springer oder Springerinnen zu mir kommen und sagen ‚Andi, deinetwegen habe ich angefangen‘. Das ist ein extrem geiles Gefühl, wenn Kinder die Begeisterung fürs Skispringen auch meinetwegen gewinnen. Ich habe ja auch nur meine Leidenschaft zum Beruf gemacht. Und deswegen glaube ich schon, dass wieder viel nachkommt. Es war in den Jahrgängen nach mir vielleicht ein bisschen schwieriger, aber wir haben auch jetzt sehr starke arrivierte und junge Springer, wie den Adrian (Tittel; Anm. d. Red.), der letztes Jahr auch schon wirklich gut mit dabei war. Es kommen schon ein paar. Da müssen wir schauen, dass wir die Diamanten formen, damit die jungen Springer uns das Leben schwer machen, wir aber auch die jungen Springer mitziehen. Dann ist die Skisprungbegeisterung in Deutschland sehr, sehr groß und wir werden immer schlagkräftig an den Start gehen und um den Sieg kämpfen.
Wellinger: „Es muss wieder Fairness herrschen“
SPORT1: Nach dem norwegischen Skisprung-Skandal ist eine unabhängige Untersuchung eingeleitet worden. Inwiefern werden Sie als Sportler da mitgenommen?
Wellinger: Ich weiß überhaupt nichts, habe mich aber auch bewusst nicht damit beschäftigt. Ich weiß das, was die letzten Wochen Thema war, dass keine Informationen nach Außen gegeben werden, weil es eben ein laufendes Ermittlungsverfahren ist. Wenn alle Fakten auf dem Tisch liegen und eine Entscheidung getroffen wird, wird es entsprechend kommuniziert. Ich lasse es auf mich zukommen. Ich kann es nicht beeinflussen und deswegen schauen wir mal, was da rauskommt. Das Wichtigste für mich ist nicht, was bei der WM passiert ist oder was vielleicht noch geändert wird, sondern dass wir für die Fans, für die Öffentlichkeit, für die, die das Skispringen lieben, die uns zuschauen, die uns anfeuern, dass wir für die glaubwürdig sind und glaubwürdig bleiben. Wir müssen die Werte des Sports wieder in den Mittelpunkt stellen. Es muss wieder Fairness herrschen. Wir müssen zeigen, dass wir eine große Skisprung-Familie sind, in der es fair zugeht und wo am Ende der Beste gewinnt.
SPORT1: Haben Sie vielleicht einen Ansatz, was geändert werden muss, damit es wieder fair zugeht?
Wellinger: Wir haben im Laufe der letzten Wochen immer mal wieder diskutiert. Es gab auch in einer FIS-Sitzung ein paar Ideen, die ich gut fand und ein paar, die ich weniger gut fand. Es sind aktuell noch FIS-Sitzungen, auf denen verschiedene Themen diskutiert und für den Sommer definiert werden. Ich bin der Meinung, dass wir es vom Reglement her möglichst einfach halten müssen. Wir müssen in die Kontrollen mehr Personal seitens der FIS integrieren, einfach weil es unglaublich viele Regeln im Skispringen gibt – ob das Anzug, Ski oder Schuhe betrifft. Eine Person allein wird das nie im Leben alles kontrollieren können. Und je besser kontrolliert werden kann, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass unerlaubte Dinge passieren.
Darum würde Wellinger nachträglicher WM-Sieg wenig reizen
SPORT1: Noch laufen die Ermittlungen. Bei einer möglichen Disqualifikation des Norwegers Marius Lindvik könnten Sie nachträglich noch WM-Gold bekommen. Was würde Ihnen das bedeuten?
Wellinger: Es wäre schön, bei der nächsten WM im World-Champion-Trikot zu starten. Aber ansonsten ist das, worum es uns Athleten geht, dass du über die grüne Linie springst und dass du die Eins aufleuchten siehst. Es ist besonders, wenn du die Emotionen für eine Platzierung, eine Siegerehrung, die Hymne, die Bilder erleben darfst. All das, was an dem Tag an der Schanze und danach passiert, ist der Antrieb und meine Motivation. Und das wird mir nie einer nachträglich geben können. Wir werden wohl nicht nochmal nach Trondheim fahren und eine Siegerehrung mit der deutschen Hymne haben. Genauso wenig wird es die Bilder dazu geben. Also es wäre schon nett, wenn ich dann noch Weltmeister werde, aber für das, was mich antreibt, ändert sich sowieso nichts.
SPORT1: Im nächsten Winter stehen die Olympischen Spiele an. Gehen Sie die anders an, weil Sie schon einmal Olympiasieger geworden sind?
Wellinger: Zu einem gewissen Maße auf jeden Fall, weil ich bei Olympia schon gewinnen durfte. Ich werde aber trotzdem, sofern ich dabei bin, mein Bestes geben und wie bei jedem anderen Wettkampf versuchen, meine Leistung abzurufen und um die Podestplätze mitzukämpfen. Wenn mir das gelingt, dass ich mich in die Situation bringe, über Siege und das Podest nachdenken zu können, habe ich viel richtig gemacht. Am Ende muss es immer mit dem Quäntchen Glück am richtigen Tag und zum richtigen Moment passieren.
SPORT1: In diesem Winter haben die Österreicher in allen wichtigen Wettkämpfen dominiert. Sehen Sie es als Gefahr für die Sportart, wenn eine Nation so dominant ist - und geht die Dominanz so weiter?
Wellinger: Es würde dem Sport wahrscheinlich nicht guttun. Aber ich glaube nicht, dass es so kommen wird. Dafür gibt es zu viele gute Skispringer, die zum Glück andere Jacken tragen und unter einer anderen Flagge starten. Definitiv ist aber auch ein Teil der Wahrheit, dass das Team Österreich im Moment ein Luxusproblem hat. Sie haben sehr viele Athleten, die vorne mitkämpfen und unter die Top 10 springen können. Aber auch das müssen sie erst mal wieder bestätigen. Da mache ich mir im Skispringen wenig Sorgen. Der Wechsel an der Spitze wird immer mal wieder da sein (lacht).