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Weg mit Telemark! Schmitt fordert radikale Änderung

Schmitt fordert radikale Änderung

Die Kreuzbandverletzungen von Alexandria Loutitt und Eva Pinkelnig bei der Olympia-Generalprobe sorgen für hitzige Debatten. Die deutsche Skisprung-Legende Martin Schmitt fordert einen drastischen Schritt.
Beim Skispringen leben die Athleten den Traum vom Fliegen - insbesondere auf den ganz großen Schanzen. Inzwischen sind Sprünge auf weit über 200 Meter möglich. SPORT1 zeigt die Entwicklung des Weltrekords.
Die Kreuzbandverletzungen von Alexandria Loutitt und Eva Pinkelnig bei der Olympia-Generalprobe sorgen für hitzige Debatten. Die deutsche Skisprung-Legende Martin Schmitt fordert einen drastischen Schritt.

Nach den schweren Stürzen bei der Olympia-Generalprobe in Val di Fiemme wird die Sicherheitsdebatte im Skispringen dieser Tage wieder intensiver geführt. Im Fokus stehen dabei insbesondere das Material und mögliche Anpassungen bei den Olympia-Schanzen.

Die deutsche Skisprung-Ikone Martin Schmitt glaubt allerdings nicht, dass das alleine reicht, um das Risiko von schweren Knieverletzungen auf ein akzeptables Maß zu reduzieren.

Zwar gäbe es bei den Olympia-Schanzen ein „erhöhtes Risiko, weil der Landedruck und die Flugkurve und damit auch die Landebelastung hoch“ seien, jedoch sei dies nicht der einzige Grund für die Stürze von Eva Pinkelnig und Alexandria Loutitt gewesen. Beide haben sich das Kreuzband gerissen und werden die Olympischen Spiele 2026 verpassen.

„Dass typische bei diesen Stürzen ist, dass nicht die Verletzungen wegen des Sturzes passieren, sondern der Sturz wegen der Verletzung. Es gibt den ersten Landekontakt und mit dem ersten Kontakt reißt sofort das Kreuzband oder gibt das Knie nach“, erklärte Schmitt im Podcast „Die Flugshow“.

Legende Schmitt sieht Telemarklandung als Problem

Ein großer Risikofaktor stellt laut des zweimaligen Weltcup-Gesamtsiegers die Telemarklandung dar. „Es ist ein vielschichtiges Problem. Die Charakteristik im Skispringen mit der Telemarklandung ist eine sehr unnatürliche und ungünstige Haltung, um einen Landedruck, eine Maximalbelastung, abzufedern“, gab der 47-Jährige zu bedenken.

Die Umstellungen im Material haben zudem dazu beigetragen, dass das Risiko bei den Landungen weiter gestiegen ist. „Gepaart mit dem verwendeten Material wird der Sportler in eine Position gezwungen, die Kreuzbandverletzungen provoziert. Das Knie knickt nach innen und das lässt sich fast nicht vermeiden“, gab er zu bedenken.

Zu viel Belastung im Skispringen?

Skispringer machen im Jahr rund 600 Sprünge, was mit einer enormen Belastung für die Knie einhergeht. Schmitt zufolge sind die Verletzungen möglicherweise häufig auch die Konsequenz aus einer Vielzahl an Sprüngen und nicht nur aus der Landung, bei der das Band letztlich reißt.

„In jedem Training kommt ein Stress auf die Bandstruktur. Das kann über die Dauerbelastung auch zu Vorschäden führen, die dann in Sondersituationen dazu führen können, dass das Band nachgibt“, führte er aus.

Mit den von ihm angesprochenen Sondersituationen meint er unter anderem weite Flüge, Schanzen mit einer hohen Flugkurve und Rückenwindbedingungen. All diese Faktoren lassen den Landedruck steigen.

„Ist der Telemark noch zeitgemäß?

Schmitt fühlt sich gezwungen, sich sehr drastische Fragen zu stellen. „Ist der Telemark noch zeitgemäß? Was wiegt höher? Tradition oder die Gesundheit der Athleten?“, wirft der mehrmalige Weltmeister und Olympiasieger im Team in den Raum.

„Wenn man sagt, die Gesundheit der Athleten hat Vorrang, müsste man eigentlich genau genommen auf dieses Element verzichten.“ Der Telemark stamme aus einer anderen Zeit, in der man den Telemark noch „anders ausführen“ konnte. „Mit dem modernen Material, das das Skispringen auch viel sicherer und stabiler gemacht hat, wird man in eine Position gezwungen, die einfach ungesund ist. Das führt zwangsläufig in Extremsituationen zu Kreuzbandverletzungen“, erklärte er.

Im Fokus stehen hierbei die gebogenen Bindungsstäbe, die die Telemarklandung erschweren, jedoch Vorteile in der Luft bieten. Was Schmitt als „Sicherheitsgewinn“ des modernen Materials beschreibt, hat insbesondere mit dem Flug selbst zu tun. So konnten gefährliche Stürze, bei denen der Athlet bereits in der Luft die Kontrolle verliert, in den vergangenen Jahren stark reduziert werden.

Schmitt spricht sich für Anzugsveränderung aus

Potenzial sieht Schmitt noch bei den Anzügen. Insbesondere bei den Damen, die wissenschaftlichen Studien zufolge ein höheres Grundrisiko für Kreuzbandverletzungen haben, welches mit der höheren Anfahrtsgeschwindigkeit zusätzlich steigt, wären ihm zufolge größere Anzüge sinnvoll.

„Man wird wahrscheinlich das Anzugsvolumen verändern. Man könnte von plus vier auf plus sechs Zentimeter (Spielraum zwischen Körper und Anzug) gehen. So hat man etwas mehr Auftriebsfläche und kommt ein wenig langsamer zur Landung. Das wäre schon enorm hilfreich“, argumentierte er.

Schmitt ist sich aber auch im Klaren, dass dies kein bahnbrechender Faktor ist. „Das Grundrisiko ist durch die Telemark-Landung einfach extrem hoch. Man kann nur versuchen, das Risiko ein wenig zu reduzieren, aber ganz weg wird man es nicht bekommen, weil man nicht achsengerecht landet. Das wird man auch mit Reglementänderungen nicht schaffen. Deswegen wird der Telemark immer das Grundproblem sein und man wird die Kreuzbandverletzungen nicht verhindern können“, bilanzierte er.

Regeländerungen stimmen skeptisch

Die FIS hat in den vergangenen Jahren mit einigen Regeländerungen nicht dazu beigetragen, dass das Landen sicherer wird. So werden seit einem Jahr noch mehr Punkte abgezogen, wenn ein Athlet ohne Telemark landet. Damit zwingt man indirekt die Athleten, auch in Grenzbereichen eine Telemark-Landung zu setzen, um die Chance auf einen Sieg nicht einzubüßen.

Auch eine 2013 eingeführte Regelung, dass Trainer für ihre Springer den Anlauf verkürzen dürfen und dafür Bonus-Punkte erhalten, wurde dahingehend verändert, dass die Bonus-Punkte nur vergeben werden, wenn der Sportler auch 95 Prozent der Hillsize-Weite erreicht. Dies hat oft die Konsequenz, dass Coaches bei unsicheren Landern auf den taktischen Kniff lieber verzichten.

Allerdings sei auch gesagt, dass der Telemark eine gewisse Landevorbereitung voraussetzt, die das Risiko wieder reduzieren kann. Schafft man diesen also ab, könnten Athleten dazu verleitet werden, auf Biegen und Brechen noch den letzten halben Meter herauszuholen und dann ebenfalls unsicher zur Landung zu kommen. Letztlich springt das Risiko wohl immer mit.