Fast 30 Jahre musste Deutschland auf diesen Moment warten - dank Niels McDonald hat das Warten ein Ende. Im rein deutschen Finale krönte sich der 17-Jährige gegen den gleichaltrigen Max Schönhaus in Paris zum ersten deutschen Junioren-Sieger bei den French Open seit Daniel Elsner (1997).
Er erlöste Tennis-Deutschland
SPORT1 hat die deutsche Tennis-Nachwuchshoffnung im exklusiven Interview gesprochen. McDonald erklärt, wie er den Sensationslauf miterlebt hat, welche Erinnerungen er mit Roland Garros verbindet und warum seine britische Staatsbürgerschaft Tennis-Deutschland keine Sorgen bereiten muss.
SPORT1: Glückwunsch zu Ihrem Coup bei den French Open. Wie waren die Stunden und Tage nach dem Erfolg, wie waren die Reaktionen?
Niels McDonald: Nach der Siegerehrung kamen brutal viele Nachrichten rein. Freunde, alte Bekannte, mein alter Trainer, Familie. Das hat mich enorm gefreut, wie viele Leute mir geschrieben haben. Auch die Zeitungen haben über mich berichtet, in den sozialen Medien gab es viele coole Posts, die mir gefallen haben. Ich habe auf Instagram 9000 Follower dazubekommen. Da dachte ich mir: Wow! Wie geht das denn? Jetzt bin ich auch froh, dass hier in Schweden wieder der normale Trainingsalltag für mich losgeht.
French Open: Dieser Triumph bleibt in Erinnerung
SPORT1: Welcher Moment bleibt Ihnen aus Paris besonders in Erinnerung, was war das Verrückteste, was dort passierte?
McDonald: Die Woche im Allgemeinen war einfach geil. Die Zusammenarbeit mit meinem Trainer, dem Nationaltrainer, wir alle als Team. Wir hatten mit unserem Nationaltrainer (Philipp Petzschner, Anm. d. Red.) die Wette, dass wenn ein Deutscher gewinnt, wir ihm die Haare schneiden dürfen - so wie wir möchten. Wir standen vor dem Friseur und haben uns kaputtgelacht. Zuerst wollten wir ihm eine Art Avatar-Haarschnitt machen: einen Pfeil und die Seiten komplett abrasieren. Wir waren fast fertig, aber dann haben Max (Schönhaus, Anm. d. Red.) und ich uns echt schlecht gefühlt. Also haben wir ein Foto gemacht und ihm alles abrasiert. Das war unglaublich. Aber auch das Finale an sich: Dieses große Stadion zu betreten, all die applaudierenden Zuschauer – das war eine unglaubliche Erfahrung.
SPORT1: Sie erwähnten gerade schon Ihren Finalgegner Max Schönhaus. Auch mit Ihrem deutschen Doppelpartner Jamie Mackenzie verstehen Sie sich gut. Wie groß ist der Vorteil, dass es gerade mehrere große deutsche Talente gibt, treibt man sich da gegenseitig an?
McDonald: Wir haben in unserem Jahrgang – und in dem darüber – echt ein paar top Jungs am Start. Das motiviert einen natürlich. Wir verstehen uns super, trainieren und unternehmen etwas gemeinsam. Wir pushen und motivieren uns gegenseitig, um immer besser zu werden.
Engel und Dedura? „Jeder muss seinen Weg gehen“
SPORT1: Zu den deutschen Tennis-Hoffnungen zählen auch Justin Engel und Diego Dedura, die ja bereits erste Erfolge auf der ATP-Tour verzeichnen. Inspirieren Sie diese Erfolge und besteht da auch Kontakt?
McDonald: Mit Justin verstehe ich mich gut, aber habe nicht so viel Kontakt. Es ist eine ziemliche Leistung, auch dass er jetzt beim ATP-Turnier in Stuttgart das Viertelfinale erreicht hat. Mit Diego schreibe ich ab und zu, er ist immer lieb. Die beiden sind früh in den Herrenbereich gewechselt und dementsprechend vielleicht etwas erfahrener. Am Ende muss jeder seinen Weg gehen, das ist das Wichtigste. Da wir uns gut verstehen, motivieren wir uns natürlich gegenseitig. Ich lege den Fokus auf meinen Weg, habe mir meine Ziele gesetzt – und die versuche ich zu erfüllen.
SPORT1: Wann wollen Sie den Schritt auf die ATP-Tour wagen?
McDonald: Der Plan war, am Ende des Jahres in der Juniorenweltrangliste unter den Top-10 zu stehen, um sich für das Junior Accelerator Programme von der ITF zu qualifizieren – mit den acht Challenger-Wildcards, die man da bekommt. Da ich mit einem Grand-Slam-Sieg automatisch dafür qualifiziert bin, gehe ich wahrscheinlich schon früher in den Herrenbereich. Ich möchte juniorenmäßig aber noch in Wimbledon und bei den US Open mitspielen – und natürlich bei den World Finals, wenn ich mich denn qualifiziere. Spätestens nächstes Jahr möchte ich auf der ATP-Tour angreifen.
Nationalitätswechsel? Kommt gar nicht infrage
SPORT1: Sie wurden in Wales geboren, Ihr Vater ist Schotte und Sie besitzen neben der deutschen auch die britische Staatsbürgerschaft. Die deutschen Tennis-Fans müssen sich aber keine Sorgen machen, dass Sie wie manch anderer Spieler in der Vergangenheit die Nationalität wechseln?
McDonald: Absolut nicht! Ich habe unter der deutschen Flagge mit Tennis angefangen und seither mein Leben lang für Deutschland gespielt. All die Lehrgänge und Events, ich werde ja auch vom DTB unterstützt. Es kommt eigentlich gar nicht infrage, zu wechseln. Ich glaube, dass gar nicht so viele wissen, dass ich überhaupt zwei Staatsbürgerschaften habe. Ich bin glücklich in Deutschland, mit dem Umfeld, mit dem Bundestrainer – auch mit den Wildcard-Optionen, die man hat. Da muss man sich keine Sorgen machen.
SPORT1: Aktuell trainieren Sie bei der Good to Great Academy in Stockholm unter der Leitung von Magnus Norman. Weshalb haben Sie sich für dieses Ausbildungszentrum entschieden?
McDonald: Ich habe mal ein U10-Turnier in Umag gewonnen. Als Preis wurde eine Trainingswoche bei der Akademie in Stockholm ausgeschrieben. Ich kam mit zehn Jahren also zum ersten Mal hin und fand es megageil. Kurzzeitig war ich noch in Spanien, aber ich bin immer mit der Akademie in Kontakt geblieben. So hat es sich ergeben. Es ist super hier: Top-Bedingungen, Top-Fitnesscenter, Top-Plätze. Generell ist Schweden echt schön, auch die Stadt Stockholm. Mir gefällt es hier. Ich habe meinen eigenen Trainer hier, einen guten Fitnesstrainer und ein super Umfeld. Ich fühle mich wie zu Hause.
McDonald: „Meine Ikone war immer Nadal“
SPORT1: Haben Sie ein großes Vorbild im Tennis?
McDonald: Es war immer Rafael Nadal. Ich bin damit groß geworden, ihm zuzuschauen. Auch meine Familie hat ihn immer vor dem Fernseher unterstützt. Einfach die Art und Weise, wie er sich auf dem Platz gibt, wie er kämpft, die Einstellung, die er zum Sport hat, ist beneidenswert. Ich habe immer zu ihm aufgeschaut. Meine Ikone war immer Nadal. Dass er aufgehört hat, ist natürlich schade.
SPORT1: Kein Wunder also, dass es bei Ihnen ausgerechnet bei den French Open so gut geklappt hat. Wo sehen Sie die größten Stärken in ihrem Spiel – und wo gibt es noch Luft nach oben?
McDonald: Mit meinem Grundlinienspiel fühle ich mich sehr wohl, mit dem Aufschlag auch. Aber am Ende muss man immer gut die Beine bewegen, darauf kommt es eben auch an. Wenn die Beine stecken bleiben, wird es schwer. Natürlich muss ich weiter an der Konstanz arbeiten und das Übergangsspiel verbessern – da kann ich noch ein, zwei Dinge besser machen. Aber da sind wir dran - jetzt gilt es weiter hart zu trainieren.
Alcaraz und Sinner? „Angst macht mir das nicht“
SPORT1: Wie sehen Sie Alexander Zverev, würden Sie sich über den einen oder anderen Tipp von Deutschlands Nummer 1 freuen?
McDonald: Wir haben uns noch nie unterhalten. Klar, haben wir uns auf den Turnieren gesehen. Er ist ein sehr erfolgreicher Tennisspieler und es wäre sicherlich megacool, ein, zwei Tipps von ihm zu bekommen. Ich glaube aber an das Umfeld, in dem ich jetzt bin: Mein Trainer, der Bundestrainer, die geben mir gute Tipps, wie es weitergeht. Deswegen fühle ich mich sehr wohl.
SPORT1: Haben Sie das epische Finale zwischen Carlos Alcaraz und Jannik Sinner mitverfolgt?
McDonald: Ich habe es im Fernsehen gesehen, das Niveau war nicht von dieser Welt.
SPORT1: Was sagen Sie zu den beiden Spielern, beflügelt das oder macht das eher Angst, wenn man sieht, wie gut die sind?
McDonald: Angst macht mir das nicht. Es motiviert einen, auch mal gegen Alcaraz oder Sinner zu spielen. Man kann von beiden Spielern sehr viel lernen, wenn man sieht, was sie auf dem Platz machen. Hinzu kommen Konstanz und die Spielerfahrung. Wenn die zwei auf dem Platz stehen, ist es eigentlich immer ein geiles Match.
Tennis: Deutschlands nächste „Goldene Generation“?
SPORT1: In Anbetracht des spektakulären Finals zwischen Alcaraz und Sinner: Es gibt auch immer wieder Diskussionen über Best-of-5 und ob es noch zeitgemäß sei. Ihre Meinung dazu?
McDonald: Best-of-5 bei den Grand Slams ist das Coolste überhaupt. Ich wünsche mir, dass es beibehalten wird.
SPORT1: Tennis-Deutschland hofft bei den vielen Talenten aktuell auf eine „Goldene Generation“ bei den Herren, wie sehen Sie das?
McDonald: Schwer zu sagen. So wie wir alle gerade spielen, sieht es gar nicht schlecht aus und es gibt viel Hoffnung für die Zukunft. Aber man weiß nie – so hart es dann auch sein mag – ob man sich schon morgen schwer verletzt. Ob irgendetwas passiert. Es gilt von Tag zu Tag weiterzuarbeiten, der Rest wird sich ergeben. Mit der richtigen Einstellung können wir Jungs ziemlich viel Gutes im Herrentennis leisten. Aber ich kann nicht in die Zukunft schauen. Wenn wir die richtige Arbeit machen, haben wir gute Chancen, weit zu kommen.