Nach dem größten Triumph seiner Karriere ließ er sich auf die Seite fallen, streckte die Zunge heraus und verharrte. Ein grotesk anmutender Jubel, den besonders Gamer feierten. Als Daniil Medvedev vor gut vier Jahren die US Open gewann – bis heute sein einziger Grand-Slam-Titel – zelebrierte er seinen Erfolg mit der Jubelpose „Toter Fisch“ aus dem Videospiel FIFA.
Der beispiellose Absturz des Daniil Medvedev
Superstar torpediert Tennis-Welt
Für den Russen war der Erfolg im Big Apple der größte Moment seiner Karriere, der seinem Kontrahenten gleichzeitig einen der wohl bittersten Augenblicke bescherte. Gegner im Endspiel war seinerzeit kein Geringerer als Novak Djokovic, der mit einem Sieg Geschichte hätte schreiben können.
Mit den Australian Open, den French Open und Wimbledon hatte der Serbe in jenem Jahr bereits die ersten drei Grand Slams gewonnen. Hätte er auch bei den US Open triumphiert, wäre er der erste Spieler seit Rod Laver 1969 gewesen, der die vier wichtigsten Tennisturniere in einem Kalenderjahr für sich entschieden hätte.
Doch Medvedev machte Djokovic einen Streich durch die Rechnung, aus dem perfekten Major-Jahr wurde nichts.
Medvedev erreicht weitere Grand-Slam-Finals
„Einfach unglaublich, Daniil Medvedev, du hast heute Abend einen der Größten gestoppt. Seinen ersten Grand-Slam-Titel zu gewinnen, ist immer etwas Besonderes, gegen einen Champion wie Novak Djokovic zu gewinnen, umso mehr“, lobte seinerzeit der legendäre Rod Laver bei X.
Auf den Sportler schien eine goldene Zukunft zu warten – und zunächst sah auch alles danach aus. Nur wenige Monate später stand er bei den Australian Open im Januar 2022 erneut im Finale – verlor aber gegen Rafael Nadal trotz 2:0-Satzführung. Unabhängig von der Finalniederlage gelang der Sprung auf Platz eins der Weltrangliste.
Seitdem wurden die Glanzlichter in der Karriere des Russen immer seltener. 2023 erreichte er das Finale der US Open, blieb aber gegen Djokovic ohne Chance. 2024 stand er erneut im Endspiel in Melbourne, verlor aber gegen Jannik Sinner trotz einer erneuten 2:0-Satzführung.
Anhaltende Schulterprobleme als Belastung
Stets begleitet wurden die Partien von anhaltenden Schulterschmerzen, die auch eine Operation im Frühjahr 2022 nicht hatte beheben können.
Als treue Begleiter von Medvedev erwiesen sich neben Schmerzen in der Schulter auch die sich mehr und mehr häufenden Eklats, Skandale und Ausraster.
Beim ATP Masters in Shanghai wütete Medvedev einst derart über die vermeintlich schlechte Qualität der Spielbälle, dass er sich mit einem davon schließlich symbolisch den Hintern abwischte.
Beim Laver Cup in Berlin warf er während eines Spiels seinen Schläger ins Publikum und verfehlte dabei nur knapp eine Frau. In Monaco lag er einst gegen Alexander Zverev im zweiten Satz zurück und entfernte beim Gang zu seiner Bank einfach den Netzpfosten und legte ihn auf den Platz des Deutschen, um diesen aus der Konzentration zu reißen.
Immer wieder Skandale
Auch in jungen Jahren war er kein Kind von Traurigkeit. Bei den US Open 2019 brachte er die Zuschauer mit einer Stinkefinger-Geste gegen sich auf und provozierte im anschließenden Interview.
Bereits zwei Jahre zuvor warf Medvedev nach seinem Zweitrunden-Aus in Wimbledon Münzen vor den Stuhl der Hauptschiedsrichterin, unterstellte ihr damit indirekt Bestechlichkeit. 2016 wiederum wurde der damals 20-Jährige in der Partie gegen Donald Young (USA) wegen unsportlichen wie rassistischen Verhaltens gegenüber Schiedsrichterin Sandy French sogar disqualifiziert.
Doch während in früheren Jahren das wiederholt inakzeptable Verhalten des Tennis-Rüpels zumindest noch mit starken Leistungen einherging, ist im Jahr 2025 davon nichts mehr zu sehen.
Medvedev erlebt aktuell einen beispiellosen Absturz – in sportlicher und unsportlicher Weise.
Eskalation bei den US Open
Im Januar scheiterte er in Australien bereits in der zweiten Runde, bei den Grand Slams in Paris und Wimbledon war jeweils in der ersten Runde Endstation. So nun auch bei den aktuell laufenden US Open. Medvedev unterlag dem Franzosen Benjamin Bonzi in der ersten Runde in fünf Sätzen – und lieferte dabei unfassbare Szenen. (US Open 2025 täglich im LIVETICKER)
Bereits im dritten Satz hatte Bonzi Matchball. Nach einem Aufschlag ins Netz lief ein Fotograf auf den Platz - womöglich dachte er, das Match sei vorbei. Schiedsrichter Greg Allensworth sprach Bonzi erneut einen ersten Aufschlag zu. Medvedev verlor daraufhin die Fassung, stachelte das buhende Publikum an und diskutierte lautstark mit dem Referee.
„Bist du ein Mann? Bist du ein Mann? Warum zitterst du?“, schrie der Russe unter anderem, als er auf Allensworth zustürmte: „Er will nach Hause, Leute, er mag es hier nicht. Er wird pro Spiel bezahlt, nicht pro Stunde.“
„Ich wollte noch Schlimmeres tun“
Das Publikum buhte nach dem Aufreger minutenlang und feierte den Russen für dessen Mätzchen, Bonzi konnte derweil nicht servieren. Er verlor das Aufschlagsspiel, schließlich den Satz und ebenso den vierten. Doch nach fünf Sätzen ging das Match doch noch an den Franzosen. Die Aussagen von Medvedev sorgten bei der Pressekonferenz im Anschluss erneut für Kopfschütteln.
„Meine Reaktion auf seine Entscheidung war noch mild, ich wollte noch Schlimmeres tun“, verteidigte sich der Russe. „Aber ich kann es nicht, weil es auf einem Tennisplatz Regeln gibt. Also drücke ich meine Gefühle und meine Unzufriedenheit mit der Entscheidung aus. Dann tat das Publikum, was es tat.“
Er führte weiter aus: „Beim Verlassen des Platzes dachte ich mir: ‚Weißt du was? Es könnte witzig sein, meine Karriere mit nur einem Spiel bei den US Open zu beenden.‘“ Eine entsprechende Entscheidung traf er jedoch nicht.
Medvedev im freien Fall
Vier Jahre nach seinem größten Triumph ist Medvedev am vorläufigen Tiefpunkt seiner Karriere angekommen. Beim dritten Grand Slam in Folge missglückte der Einzug in die zweite Runde, es droht der Absturz aus der Top 20 der Welt. Dazu werden auch die Ausraster des Tennis-Rüpels immer häufiger und bedenklicher.
Es gilt: Freier Fall statt „Toter Fisch“.