Sind Carlos Alcaraz und Jannik Sinner so stark, weil die anderen zu schwach sind?
„Wo ist denn Ruud? Wo ist Rune? Wo ist denn Zverev, bitte?“
„Wo ist Ruud? Rune? Wo ist Zverev?“
Zum dritten Mal in Folge standen sich bei den US Open die zwei derzeit besten Tennisspieler der Welt in einem Grand-Slam-Finale gegenüber - was es innerhalb eines Jahres so noch nie gegeben hatte. Fehlt der Konkurrenz die Qualität und womöglich auch der Wille, dorthin zu gelangen, wo New-York-Sieger Alcaraz und Sinner sind? Aus Sicht von Boris Becker und Andrea Petkovic hat es den Anschein.
„Wo ist denn der Rest, verdammt nochmal?“
„Wo ist denn der Rest, verdammt nochmal?“, fragt Becker provokant in der neuen Ausgabe ihres gemeinsamen Podcasts „Becker Petkovic“ - und kommt im Lauf der Aufnahme mehrfach auf das Thema zurück.
„Wo ist denn Draper? Wo ist denn Ruud? Wo ist denn Rune? Wo ist denn Medvedev? Wo ist denn Zverev, bitte? Ich verstehe das alles nicht. Das sind Top-5-, Top-10-Spieler. Ich habe die bei den letzten zwei Grand Slams nicht mehr gesehen. Was ist denn da passiert?“, führt der 57-Jährige an anderer Stelle aus.
Auf Zverev, in der 3. Runde gegen den späteren Halbfinalisten Felix Auger-Aliassime unterlegen, geht Becker nicht konkreter ein. Die einstige Nummer 1 vollzieht stattdessen eine Art Generalabrechnung mit den Spielern der Kategorie hinter Alcaraz, Sinner und Altmeister Novak Djokovic.
Becker stört „dieses Verstecken“
„Mich stört ein bisschen dieses Verstecken“, sagt Becker, der sich speziell darüber wundert, dass Sinner in New York und den Wochen zuvor von körperlichen Problemen geplagt war - und niemand außer Alcaraz es ausnutzen konnte.
„Es ist doch nicht so schwer, den Top-Spielern Paroli zu bieten“, findet Becker: „Ja, man muss sich strategisch verbessern. Man muss mal alte Videos angucken. Man braucht die richtigen Trainer an seiner Seite. Aber das sind jetzt alles keine Physiker oder Wissenschaftler, die etwas tun, was der Rest der Welt nicht versteht. Und das stört mich bisschen an dem Rest, dass sie sich zufriedengeben mit der zweiten, dritten Reihe. Viertelfinale ist okay, Halbfinale ist okay. Nein, es ist nicht okay! Nicht, wenn du der beste Tennisspieler der Welt werden willst. Oder langt denen weniger?“
Petkovic: „Vielleicht ist es genau das“
Petkovic greift den Ball an dieser Stelle auf - und äußert das Gefühl, dass tatsächlich viele Spieler eine gewisse Angst davor haben könnten, an die absolute Spitze vorzudringen.
„Vielleicht ist es ja genau das“, sagt die 38-Jährige. Der Weltruhm von Sinner, Alcaraz und Djokovic hätte schließlich auch Schattenseiten: „Man sieht ja, wie sehr diese drei in den Medien stehen, in den sozialen Medien. Es wird über sie diskutiert. Sie werden gehasst, sie werden geliebt. Sinner-Fans greifen Carlos an. Alcaraz- und Novak-Fans greifen Jannik an. Alle greifen Novak an.“
Petkovic führt aus: „Es gibt so viel Liebe, so viel Hass, so viel Aufmerksamkeit, Kommentare und Diskussionen um diese drei Spieler, dass sich die anderen vielleicht sagen: Hey, Brudi, I’m okay, ich bin okay, die Nummer acht zu sein. Ich mache meine 20 Millionen im Jahr. Ich spiele meine Viertel- und Halbfinals. Und vielleicht ist es okay, wenn ich dann nicht vorne stehe und mit Journalisten in fünf verschiedenen Sprachen über die serbischen Proteste, Donald Trump und den Krieg in der Ukraine sprechen muss. [...] Ich glaube, dass es in der heutigen Zeit echt so aussieht, dass vielleicht wirklich 90 Prozent der Spieler sagen: I’m okay. Ich mache meine x Millionen, ich kann meiner Familie ein gutes Leben ermöglichen und ciao, Kakao.“
Szene bei Sinner-Match bleibt haften
Gerade bei den US Open, ergänzt Petkovic, offenbare sich ein Unterschied zwischen Spielern, „die es gewohnt sind, neben Bruce Springsteen zu stehen oder keine Ahnung“ und solchen, die vom speziellen Umfeld der Weltmetropole New York eher überfordert seien.
Petkovic, die in Flushing Meadows als TV-Expertin vor Ort war, ist eine Szene im Achtelfinale zwischen Sinner und dem Russen Alexander Bublik in bleibender Erinnerung: „Ich werde nicht den Moment vergessen, in dem Sascha Bublik auf die Seite der Präsidentenbox kommt, kurz vor dem ersten Aufschlag hochguckt und vor ihm sitzen halt so fünf Hollywood-Schauspieler, Anna Wintour und ich weiß schon nicht mehr, wer noch alles da war. Hab ich schon vergessen. Und man sieht in seinem Blick so: Scheiße. Und dann fängt er an, serviert Doppelfehler, Doppelfehler.“
Bublik, aktuell Nummer 19 der Welt, verlor das Match gegen Sinner 1:6, 1:6, 1:6.