Wütend oder enttäuscht wirkte Xabi Alonso gar nicht mehr, als das Duell der deutschen Giganten, das im Vorfeld als großer Kampf angekündigt worden war, am Dienstag kurz vor 23 Uhr abgepfiffen wurde. Schließlich hatte sich der Spanier gar keine Illusionen gemacht, das Blatt noch wenden zu können, so chancenlos war Bayer Leverkusen über 180 Minuten. „Unser Niveau und das des FC Bayern, das ist etwas anderes. Wir müssen realistisch sein“, sprach der Spanier die ungeschönte und raue Wahrheit aus.
Quo vadis, Bayer Leverkusen?
Nur wenige Minuten zuvor flogen die Rheinländer krachend im Achtelfinale der Champions League gegen die Münchner raus. Nach dem vorentscheidenden 0:3 im Hinspiel verlor Alonsos Elf auch den zweiten Vergleich. 0:2 hieß es diesmal, in Summe stand also ein 0:5. In Leverkusen malte sich zwar keiner einen lockeren Spaziergang ins Viertelfinale aus, doch so eine brutale Begegnung mit der Realität hatte niemand erwartet. Immerhin konnte sich der Double-Sieger nach einem holprigen Saisonstart sukzessive steigern und war als ernsthafter Widersacher des Rekordmeisters gehandelt worden.
Am Ende einer furchtbaren Woche scheint dieses Märchen jedoch fürs Erste ausgeträumt: Gegen die Bayern, die in Fußball-Deutschland wieder auf dem Thron sind, zweimal unter die Räder gekommen, dazu das 0:2 gegen Bremen in der Liga. Drei Pleiten in Folge gab es seit Alonsos Amtsantritt nie, dreimal in Folge ohne eigenen Treffer blieb Leverkusen zuletzt im November 2019. Zur Unzeit wirft die Werkself, die sich in den vergangenen 18 Monaten zu einer Erfolgsmaschine entwickelte, große Fragezeichen auf, hat gleich zwei Titelchancen verspielt und leidet unter akuter Ladehemmung.

Leverkusen droht die große Langeweile
Woran das liegt? Zum einen am Fehlen von Florian Wirtz. Ohne den vermissten Kreativkopf präsentierte sich Bayer im Rückspiel gegen die Münchner wie schon gegen Bremen offensiv zu harmlos. Andererseits wohl an der höheren Belastung. „Das ist Champions League und nicht Europa League“, betonte Alonso, also kein vergleichbares Niveau. Während der Baske in der vergangenen Saison ständig rotierte und die Belastung seiner Spieler gegen international deutlich schwächere Gegner dosierte, griff er in dieser Spielzeit seltener auf die Methode der wechselnden Besetzungen zurück.
Das hat offenbar Folgen. Oft schien es, als habe die Werkself mehr Kraft als der jeweilige Gegner und damit die körperliche und geistige Frische, um einen starken Spielzug auch in der Nachspielzeit kontrolliert zu Ende zu spielen. Deshalb konnte Leverkusen in der Vorsaison viele Siege noch in den Schlussminuten erzwingen. Inzwischen ist das anders. Viele Spieler wie Alejandro Grimaldo, Jeremie Frimpong, Robert Andrich oder sogar Granit Xhaka wirken schwächer als im Double-Jahr. Ihre Reserven scheinen nicht ausreichend gefüllt zu sein, um das gewohnte System in den ganz großen Spielen durchzuziehen.
Stattdessen heißt die neue Wirklichkeit im Frühjahr 2025: Aus in der Champions League und drohende Langeweile. Denn in der Tabelle der Bundesliga dürfte Leverkusen auf Platz zwei zementiert sein. Nach vorne sind es acht Punkte bis zum Spitzenreiter aus München, nach hinten neun Zähler Vorsprung auf Mainz. Wenn in den verbleibenden neun Spieltagen nichts Außergewöhnliches geschieht, ist weder nach vorne noch nach hinten etwas drin. Bis zum Start der kommenden Saison Ende August gäbe es dann maximal noch zwei Spiele mit sportlich hoher Brisanz: Das Pokal-Halbfinale in Bielefeld sowie das mögliche Endspiel in Berlin. Ein dünnes Programm.
Alonso-Gerüchte um Madrid reißen nicht ab
Viel Zeit, um in sich hinein zu hören und nachzudenken - über die letzten katastrophalen Tage, die so erfolgreichen 18 Monate davor oder auch über die eigene Zukunft. „Bis jetzt haben wir eine große Entwicklung im Team und im Verein gemacht. Aber der nächste Schritt ist sehr schwierig“, sagte Alonso am späten Dienstag und meinte damit den Sprung von einem international guten Mannschaft zu einer absoluten Spitzentruppe. Niemand im Klub forderte vom Trainer, dass er dies bereits in der laufenden Saison schafft. Eher befürchtet man jetzt das Gegenteil.
Dass Alonso vielleicht doch zu dem Schluss kommen könnte, der Verein sei nicht groß genug, um den angestrebten Sprung unter die besten acht oder vier Teams des Kontinents zu schaffen und er auf die Idee käme, den ominösen „nächsten Schritt“ woanders zu machen. Zum Beispiel bei Real Madrid. Spekulationen rund um diesen möglichen Wechsel gab und gibt es immer wieder. Dort spielte der Ex-Profi bereits von 2009 bis 2014. Wie der aktuelle Erfolgstrainer der Königlichen, Carlo Ancelotti, seine Zukunft plant, ist noch nicht endgültig geklärt.
Wie entscheidet sich Wirtz?
Aber was passiert, wenn Alonso am Ende der Saison wirklich geht? Bricht dann der Kern des Teams auseinander? Jonathan Tah, dessen Vertrag bei Bayer ausläuft, soll vor einem Wechsel zum FC Barcelona stehen. Auch die beiden Schienenspieler Jeremie Frimpong und Alejandro Grimaldo werden mit den Katalanen sowie deren Erzrivalen Real Madrid in Verbindung gebracht. Und dann ist da noch Wirtz, der wie Alonso eines Tages weiterziehen wird. Wenn nicht in diesem Sommer, dann wohl ein Jahr später. Seit Monaten wird über seine nähere Zukunft gerätselt, sein Arbeitspapier in Leverkusen ist nach wie vor nicht verlängert.
Die Sport Bild wirft in diesem Zusammenhang die Frage auf, ob das Zögern mit dem Abschneiden in der Champions League zu tun hat. Die Niederlagen gegen den FC Liverpool (0:4) und Atlético Madrid (1:2) sowie das Ausscheiden gegen den FC Bayern könnten dem nach diesen Spielen besonders frustrierten Wirtz gezeigt haben, dass es mit Bayer gegen die Top-Adressen Europas derzeit nicht reicht. Nicht nur auf dem Platz gibt es beim Double-Sieger gerade viele Unklarheiten. Auch abseits davon dürfte die Entwicklung noch spannender werden.